Wirtschaftspolitik

Warum Afrika wirtschaftlich nicht auf die Beine kommt

Wenn wir mit dem Aufbau einer funkltionierenden Zivilgesellschaft scheitern, hat Europa bald Millionen statt nur Tausende Flüchtlinge vor der Tür, warnt Jonas Koudissa. Der Abbé leitet in Kongos Hauptstadt Brazzaville die Katholische Akademie für Ethik. Foto: Heiko Weckbrodt

Wenn wir in Afrika mit dem Aufbau funktionierender Zivilgesellschaften und eigenwachsender Volkswirtschaften scheitern, hat Europa bald Millionen statt nur Tausende Flüchtlinge vor der Tür, warnt Jonas Koudissa. Der Abbé leitet in Kongos Hauptstadt Brazzaville die Katholische Akademie für Ethik. Gestern Abend diskutierte er in der Frauenkirche in Dresden mit europäischen Entwicklungshilfe-Experten. Foto: Heiko Weckbrodt

Experten: Eliten fehlt Gemeinsinn, zuviel Korruption, Wucherzins für Existenzgründer

Dresden/Brazzaville, 15. September 2015. Mit mehr Entwicklungshilfe der Industrieländer allein ist es nicht getan, damit sich Afrika wirtschaftlich endlich aufrappelt: Um das ökonomische Siechtum in den meisten Staaten des Riesenkontinents an der Wurzel zu beseitigen, sei ein grundlegender gesellschaftlicher Umbau in vielen Staaten Afrikas nötig – und auch ein Mentalitätswandel sowohl der lokalen Eliten wie auch der Bürgergesellschaft. Zu diesem gemeinsamen Nenner kamen Vertreter aus dem Kongo, aus dem deutschen Entwicklungshilfeministerium und einer nichtstaatlichen Entwicklungshilfe-Organisation in der Podiumsdiskussion „Wie lassen sich afrikanische Volkswirtschaften erfolgreicher gestalten?“ gestern Abend in der Frauenkirche Dresden. Eingeladen dazu hatte die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung.

Selbst in Friedenszeiten tun sich Afrikas Volkswirtschaften schwer

Auch wenn Diskutanten und Publikum zum Beispiel über die Rolle multinationaler Konzerne bei der Ausbeutung Afrikas oder über Erfolg, Zielgenauigkeit und Hebelwirkung staatlicher Entwicklungshilfe teils recht hitzig stritten: Einige grundlegende Missstände in vielen afrikanischen Staaten nannten die Praktiker in der Runde doch immer wieder. Natürlich an erster Stelle bereits wohlbekannte Hindernisse für einen wirtschaftlichen Aufschwung, etwa die häufigen Bürgerkriege auf dem Kontinent, die ganz auf den Abbau von natürlichen Ressourcen beschränkten Aktivitäten internationaler Unternehmen und die ausufernde Korruption. Warum aber tun sich viele Länder Afrikas selbst in längeren Friedenszeiten so schwer, eine eigene funktionierende Wirtschaft aufzubauen, für Jobs und höheren Lebensstandard der Bevölkerung zu sorgen?

Kongo-Akademieleiter: Uns fehlt der Mittelstand

„Im Kongo und in vielen anderen afrikanischen Ländern fehlt ein Mittelstand, wie es ihn hier in Deutschland gibt“, argumentierte etwa Abbé Dr. Jonas Koudissa von der Katholischen Ethik-Akademie Brazzaville in der Republik Kongo. Dabei verstehe er „Mittelstand“ sowohl im wirtschaftlichen wie auch im gesellschaftlichen Sinne. So gebe es zwar viele von Einheimischen betriebene Kleinstunternehmen im Kongo auf der einen Seite und dann die internationalen Multis auf der anderen Seite – dazwischen aber so gut wie kein Rückgrat für eine aus eigenen Impulsen erstarkende Volkswirtschaft. Dass anders als in Deutschland und Sachsen aus kleinen lokalen Unternehmen aber keine großen wachsen, sei zum Beispiel der schlechten Zahlungsmoral des Staates geschuldet, der Rechnungen privatwirtschaftlicher Auftragnehmern ewig nicht begleiche.

Bis zu 20 Prozent Zinsen pro Monat

Schuld sei aber auch der restriktiven Kreditpolitik der kongolesischen Banken. „Unsere Banken wollen nicht investieren, sie scheuen die Risiken“, schätzte der Akademie-Leiter ein. Diese Beobachtung bestätigte Christoph Hoyler von der nichtstaatlichen Entwicklungshilfe-Organisation „Global Fair“ (Brüssel) aus jahrzehntelanger eigener Erfahrung: „Theoretisch liegt der durchschnittliche Zinssatz bei vielen afrikanischen Banken um die 14 Prozent pro Jahr“, erzählte Hoyler. In der Praxis kämen aber nur ganz wenige Unternehmen mit viel „Schmierhilfe“ an solche Bank-Darlehen heran. Die meisten Afrikaner müssen sich statt dessen an Kredit-Haie wenden, wenn sie ein Geschäft aufbauen wollen. „Und die verlangen fünf bis 20 Prozent Zinsen pro Monat. Solche Gewinne kann natürlich kein lokales Unternehmen erwirtschaften und dann noch wachsen.“

Viele träumen vom großen Geld – im Staatsdienst

Angesichts dieser Perspektivlosigkeit „normaler“ geschäftlicher Tätigkeit, wohl auch aber wegen eines schwach ausgeprägten Unternehmergeistes kommen viele Menschen im Kongo und in anderen afrikanischen Staaten gar nicht erst auf den Gedanken einer „Existenzgründung“ im Sinne westlicher Gesellschaften. „Im Kongo träumen viele vom großen Geld, aber als Weg dahin streben sie einzig nach einer gutbezahlten Anstellung im Staatsdienst“, kritisierte Jonas Koudissa. Und der Staat wiederum und auch das politische Amt werden insbesondere von den lokalen Eliten vor allem als eines gesehen: „Als Geschäftsmodell, um die eigenen Einnahmen zu maximieren“, schätzte Christoph Hoyler ein.

„Eliten sind nicht bereit abzugeben“

Gerade aber diese Eliten – darunter teils durch halbseidene Geschäfte reich Gewordene, teils durch Nepotismus Aufgestiegene – wären eigentlich der beste Wachstumskern für einen Mittelstand in der afrikanischen Gesellschaft: Im Sinne eines wirtschaftlichen Mittelstandes, der investiert und Arbeitsplätze und Wohlstand für alle schafft, und im Sinne einer gesellschaftlichen Mittelschicht, die auf die Einhaltung der Gesetze achtet, korrupte Verwaltungsmitarbeiter zügelt und eine Politik des „Teile und herrsche“ betreiben könnte. Tatsächlich aber fehle aber gerade diesen Aufsteigern jeder Sinn für das Allgemeinwohl, meint zum Beispiel Gudrun Grosse-Wiesmann, die im deutschen „Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ für die Entwicklungshilfe im Subsahara-Teil Afrikas zuständig ist. „Das ist ein ganz zentrales Problem: Diese Eliten sind nicht bereit, etwas abzugeben“, kritisierte sie. Dies spiegele sich auch in der mangelnden Bereitschaft, Pflicht-Abgaben an den Staat zu leisten: „Bei einer durchschnittlichen praktischen Steuerquote von zehn bis zwölf Prozent kann kein Staat seine Aufgaben ordentlich erledigen“, ist Gudrun Grosse-Wiesmann überzeugt.

 

Straßen und andere Infrastrukturen im Kongo spiegeln vielerorts die schwache Investitionstätigkeit des Staates. Foto: Marcel Buob, Wikipedia, CC1-Lizenz

Wer sein Geschäft auf Staatsaufträge gründet, hat schon verloren

Zieht man hier wiederum die Parallele zum „Aufbau Ost“ in Sachsen, wie es Diskussions-Moderatorin Antje Hermenau tat, so schließt sich wieder der Kreis zu den Wachstumshemmnissen für einen eigenen afrikanischen Mittelstand: In Sachsen beispielsweise wurden nach der Wende viele Steinbrüche und Kiesgruben wegen der vielen großen Bauprojekte reaktiviert, die oft vom Staat finanziert wurden, erinnerte die ehemalige Grünen-Politikerin. Während dies im Freistaat Geld in den Privatsektor hineinpumpte und das Baugewerbe hier wachsen ließ, bleiben Baufirmen im Kongo – der selbst reiche Vorkommen an Baumaterialien hat – auf Staatsrechnungen sitzen. „Wer bei uns sein Geschäftsmodell auf Aufträge vom Staat gründet, kann gleich Insolvenz anmelden“, sagte Jonas Koudissa.

Internationale Multis stellen kaum Afrikaner ein

Kritisch sei aber auch die mangelnde Investitionsbereitschaft sowohl westlicher wie auch chinesischer Großunternehmen im Kongo zu sehen: Meist gehe es diesen Multis nur darum. Bodenschätze oder andere natürliche Ressourcen abzubauen oder durch die Weltbank abgesicherte Bauaufträge zu erledigen. Meist bringen die aber ihre Arbeitskräfte aus dem eigenen Land mit, stellen keine Afrikaner ein, und investieren auch kaum in einen Ausbau der Wertschöpfungsketten vor Ort, schätzte der Akademieleiter ein. Als Gründe dafür bekomme er von den dahinter stehenden Managern oft zu hören, dass das Ausbildungsniveau der örtlichen Arbeiter einfach zu niedrig, die Korruption zu hoch und eine Zulieferwirtschaft kaum existent sei, ergänzte Christoph Hoyler von „Global Fair“, der solche Diskussionen zur Genüge kennt.

Akademie in Brazzaville soll eine Zivilgesellschaft etablieren

Um all diese Teufelskreise zu durchbrechen, hatte Louis Portella, der Erzbischof der kongolesischen Hauptstadt Brazzaville, im September 2014 die Katholische Ethik-Akademie gegründet, die Jonas Koudissa leitet. Die katholischen Würdenträger wollen damit den Aufbau einer funktionierenden Zivilgesellschaft im Kongo vorantreiben, künftige Führungskräfte am Ideal des Gemeinwohls und unternehmerischen Geistes schulen und den Menschen im Kongo vor Augen führen, dass sie sich als Bürger gegen Vetternwirtschaft und Korruption der Eliten und des Staates wehren können. Unterstützung aus Deutschland sei für die Akademie wichtig, betonte Koudissa – und meinte damit offensichtlich auch finanzielle Hilfen.

Akademieleiter Jonas Koudissa und seine Mitarbeiter. Foto: Accabe-Facebook

Akademieleiter Jonas Koudissa und seine Mitarbeiter. Foto: Accabe-Facebook

Wenn wir scheitern, hat Europa bald Millionen Flüchtlinge vor der Tür

Jüngere Kongolesen seien auch längst nicht mehr so bereit wie die älteren Generationen, sich mit dem status quo in ihrem Land abzufinden, sagte der Akademieleiter . Zugleich warnte er vor den Konsequenzen, wenn ein Umbau der Gesellschaft nicht gelinge: „Sonst werden vielleicht aus Tausenden Flüchtlingen, mit denen Sie es jetzt hier gerade zu tun haben, bald Millionen Flüchtlinge, die aus Afrika nach Europa wollen.“ Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt