Wirtschaft

Smart City auf dem Sachsenring

Im vernetzten Straßenverkehr der Zukunft sollen Roboterautos und intelligente Ampeln automatisch erkennen, wenn Fußgänger unbedacht auf die Straße rennen - und dafür sorgen, dass die Fahrzeuge rechtzeitig autonom bremsen. Abb.: hw

Im vernetzten Straßenverkehr der Zukunft sollen Roboterautos und intelligente Ampeln automatisch erkennen, wenn Fußgänger unbedacht auf die Straße rennen – und dafür sorgen, dass die Fahrzeuge rechtzeitig autonom bremsen. Abb.: hw

Ingenieure aus Sachsen und Holland zeigen auf Rennpiste, wie automatischer Verkehr der Zukunft funktioniert

Sachsenring/Dresden, 11. August 2015. Ein Golf braust heran. Der Fahrer aber hat keine Hand am Lenkrad, hält den Kopf gesenkt, spielt mit seinem Smartphone. Oje: Ein Pulk Jungen und Mädchen stürzt auf die Straße zu. Die Kinder an der Spitze rennen schon über die Piste, als das Automobil schon ganz nahe ist. Doch was ist das? Das Fahrzeug bremst wie von Geisterhand langsam aus, hält vor dem Zebrastreifen, der Mann im Wagen hebt nicht mal seine Augen dabei…

Dieses Szenario ist weder Science-Fiction noch irgend so ein neuer Google-Spaß in Kalifornien: Wir befinden uns auf dem Sachsenring bei Hohenstein-Ernstthal und der Golf ist ein Roboterauto der Chemnitzer IAV. Die sächsische Ingenieur-Firma will dort zum Verkehrssicherheitstag am 23. August 2015 gemeinsam mit „Dresden Elektronik“ und dem Halbleiter-Konzern NXP live und in Farbe vorführen, wie der intelligent vernetzte Straßenverkehr der Zukunft aussieht: sicherer, bequemer und nahezu unfallfrei.

Roboter-Golf bremst automatisch für Kinder

Die Chemnitzer haben ihren eGolf zu einem autonom fahrenden Auto umgerüstet, das selbstständig steuert, Gas gibt und bremst. Der Mann im Cockpit sitzt eigentlich nur als Passagier an Bord, und um den Beobachtern ringsum ein beruhigendes Gefühl zu geben.

Intelligente Ampel von „Dresden Elektronik“ konstruiert

Nun kennt man Roboterautos zwar bereits aus US-Dokus, die Live-Vorführung in Sachsen geht aber noch einen Schritt weiter. So kann der aufgerüstete eGolf nicht nur autonom fahren und in komplizierten Verkehrssituationen ausweichen, sondern erkennt auch am Straßenrand umhertollende Kinder und verständigt sich per Funk mit intelligent vernetzten Ampeln. Dafür beklebt NXP die Taschen von Kindern und anderen Passanten mit Funkchips (RFIDs). Die wiederum verständigen sich dann drahtlos mit der Auto-Bordelektronik und einer vom Unternehmen „Dresden Elektronik“ speziell konstruierten Ampel. Schlagen die RFID-Etiketten Annäherungsalarm zur Straße („Vorsicht. Kinder kommen!“), leitet der Golf automatisch vor einem Zebrastreifen ein Bremsmanöver ein, an einer anderen Querung schaltet die Ampel für Autos auf Rot.

Massiver Preisverfall von Funkchips und Sensoren macht Smart City erst möglich

Die beteiligten Unternehmen und die „Sächsische Energieagentur“ (SAENA) aus Dresden wollen mit dieser Live-Demonstration auf dem Sachsenring zeigen, wie nahe solche intelligenten Verkehrssysteme schon vor der praktischen Einführung im Alltag stehen – und nicht zuletzt beweisen, welches Know-How gerade auch Sachsen auf diesem noch jungen Technologiesektor aufgebaut haben. Wobei jüngere technologische Entwicklungen an Auto- und Verkehrselektronik dabei nur eine Seite der Medaille sind. Die andere Seite zeigt sich im massiven Preisverfall von Funketiketten und Sensoren, die es überhaupt erst denkbar erscheinen lassen, jeden Verkehrsteilnehmer – sei es Fußgänger, Auto oder Lkw – damit auszustatten. Denn die dahinterstehende Zukunftsvision, die stauarme und fast unfallfreie „Smart City“, funktioniert eben nur, wenn wirklich alle mitmachen.

Im modernen Großstadt-Verkehr gewinnt das lange Zeit nur theoretisch diskutierte „Internet der Dinge“ bereits praktische Bedeutung: Weltweit arbeiten führende Automobil-Hersteller, -Zulieferer und -forscher daran, die zahlreichen funkfähigen Geräte, die heute schon auf den Straßen unterwegs sind, zu vernetzen, um den Verkehr sicherer und bequemer zu machen: Die Funkblasen von Smartphones zum Beispiel können wie ein Annäherungsalarm zwischen Fahrzeugen und Fußgänger wirken, aber auch Navi-Geräte und Radarsensoren im Autos oder GPS-Halsbänder für Hunde können – miteinander vernetzt – Unfalle vermeiden helfen. Foto: NXP

Im modernen Großstadt-Verkehr gewinnt das lange Zeit nur theoretisch diskutierte „Internet der Dinge“ bereits praktische Bedeutung: Weltweit arbeiten führende Automobil-Hersteller, -Zulieferer und -forscher daran, die zahlreichen funkfähigen Geräte, die heute schon auf den Straßen unterwegs sind, zu vernetzen, um den Verkehr sicherer und bequemer zu machen: Die Funkblasen von Smartphones zum Beispiel können wie ein Annäherungsalarm zwischen Fahrzeugen und Fußgänger wirken, aber auch Navi-Geräte und Radarsensoren im Autos oder GPS-Halsbänder für Hunde können – miteinander vernetzt – Unfalle vermeiden helfen. Foto: NXP

NXP-Pilotstrecke im Hafen Hamburg

Viele technologische Bausteine für diese „Smart Cities“ sind entweder bereits verfügbar oder stehen kurz vor der Markteinführung. So betreibt der niederländische Elektronikkonzern NXEP schon seit einiger Zeit eine Pilotstrecke in Hamburg, in der sich intelligente Ampeln mit den Bordcomputern von Lastern automatisch darüber automatisch verständigen, wer wann „Grün“ bekommt – je nach Verkehrsaufkommen von beiden Seiten. Dies geschieht bisher allerdings noch unter vergleichsweise kontrollierten Bedingungen im Hamburger Hafen, wo man die Systeme noch nicht dem Stress eines chaotischen Stadtverkehrs ausgesetzt sind. Aber der Schritt zum Einsatz in Innenstädten in nicht mehr weit.

Akzeptanzfragen werden wohl entscheidend sein

Freilich werden dafür noch viele rechtliche und praktische Probleme zu lösen sein, bevor solche Systeme ihre Stärken wirklich ausspielen können: Wie gut können sie beispielsweise funktionieren, wenn die Mehrheit der Autos in den Städten gar keine vernetzte Bordelektronik hat? Auch wird nicht jedermann begeistert sein, solche RFID-Funketiketten an die Tasche getackert zu bekommen – man weiß zum Beispiel ja nie, ob der „Große Bruder“ damit vielleicht mithört beziehungsweise datensammelwütige Sicherheitspolitiker daraus Bewegungsmuster der Bürger stricken.

Alternative: Funkwarnblase per Smartphone

Und so werden auch Alternativ-Technologien zu den Funketiketten erörtert. Das „5G Lab“ der TU Dresden will den Annäherungsalarm zwischen Autos und Fußgängern beispielsweise ganz anders lösen: Indem die Funkblasen, die fast jeder mit seinem Smartphone umherschleppt, wie Warnbaken verwendet werden können. Es bleibt abzuwarten, welche Technologie sich wohl durchsetzt – oder ob die Smart City vielleicht doch nur eine Zukunftsvision bleibt.

Autor: Heiko Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt