Medizin & Biotech

Autisten musizieren gegen die Isolation

Musiktherapeutin Saskia Mittmann von der Autismusambulanz Dresden mit Instrumenten, die für die Musiktherapie von Autisten genutzt werden. Einige davon – etwa das Saiteninstrument – haben die Patienten selbst gebaut. Foto: Uniklinikum / Holger Ostermeyer

Musiktherapeutin Saskia Mittmann von der Autismusambulanz Dresden mit Instrumenten, die für die Musiktherapie von Autisten genutzt werden. Einige davon – etwa das Saiteninstrument – haben die Patienten selbst gebaut. Foto: Uniklinikum / Holger Ostermeyer

Uniklinikum Dresden stellt ungewöhnliche Therapieansätze für chronisch in sich gekehrte Menschen bei Tag der offenen Tür vor

Dresden, 31. März 2015: Anfangs dachten seine Eltern, Gregor* sei nur einfach ein bisschen schüchtern. Doch schon im Kindergarten fiel den Erzieherinnen auf, dass sich der Junge grundsätzlich nicht an Spielen mit anderen Kindern beteiligte, sich eine Ecke zurückzog, oft sogar schrie, wenn jemand versuchte, in diese seine eigene Welt einzudringen. Andererseits zeigte sich bald: Gregor war alles anderes als dumm, löste viele Rätsel mit einer Detailverliebtheit, die ihn weit von den anderen Kindern abhob.

Schließlich gingen die Eltern zur Autismusambulanz ins Uniklinkum Dresden und bald war die Diagnose klar: Der Junge hat eine der Spielarten des Autismus – eine Entwicklungsstörung, bei der sich die Betroffenen übermäßig von ihrer Umwelt und ihrem sozialem Umfeld abzuschotten versuchen. Bei einem „Tag der offenen Tür“ wollen die Mediziner und Mitarbeiter der Autismusambulanz morgen über diese Krankheit in all ihren Facetten die Öffentlichkeit informieren – und über neuere Behandlungsansätze wie Musiktherapie für Autisten und autistische veranlagte Menschen.

Durch gemeinsames Musizieren Hemmungen abbauen und Interaktion üben

Eine Form dieser Therapie ist das gemeinsame Musizieren in der Gruppe. Die Patienten spielen dabei zusammen, üben insofern auch ein Stückchen soziales Miteinander. Andere setzen sich Kopfhörer auf, um ihre Eigenwahrnehmung zu schärfen und sich zur Musik zu entspannen. Und wieder andere Patienten bauen die Instrumente, die dann in der Gruppe zum Musizieren verwendet werden. Einige dieser Therapieansätze sollen Autisten helfen, ruhiger zu werden und zwanghafte Wiederholungshandlungen in den Griff zu bekommen. Andere sind dafür konzipiert, Hemmungen abzubauen, mit anderen Menschen interagieren zu lernen.

Über 700 Patienten jährlich in Autismus-Ambulanz

Pro Jahr behandelt die Dresdner Ambulanz rund 700 bis 800 Patienten aus ganz Sachsen, die unter einer der vielen Spielarten von Autismus leiden. Die Spannbreite reicht von „kaum bemerkbar“ bis hin zu massiven Störungen im sozialen Verhalten. Und gerade weil die leichteren Formen von Autismus oft nur als Schüchternheit oder kleiner „Tick“ missverstanden werden, werden sie oft genug bis ins Erwachsenen-Alter hinein gar nicht erkannt.

In einigen Therapien verleihen die jungen Autismus-Patienten auch durch Malen ihrem Fühlen Ausdruck. Repro: Autismus-Ambulanz Dresden

In einigen Therapien verleihen die jungen Autismus-Patienten auch durch Malen ihrem Fühlen Ausdruck. Repro: Autismus-Ambulanz Dresden

Fallzahlen schnellen in die Höhe

Allerdings haben sich die diagnostischen Verfahren inzwischen verfeinert. „Unsere Diagnose-Stellungen sind in den vergangenen Jahren in die Höhe geschossen“, sagt Daniel Klotz, einer der pädagogischen Mitarbeiter der Dresdner Autismusambulanz der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dies sei aber nicht als sichereres Zeichen zu werten, dass es wirklich mehr Autisten gebe. „Die Sensibilität der Bevölkerung für diese Krankheitsbilder hat zugenommen“, ist er überzeugt. „Wo man früher vielleicht abgewunken hat so nach dem Motto: ,Na gut, das Kind ist etwas schräg, aber es wird schon zurechtkommen’, achten heute Eltern, Kindergärtnerinnen und Lehrer mehr auf Anzeichen von Asperger oder Autismus und bringen die Kinder eher zu uns.“ Dazu beigetragen haben sicher auch Filme wie „Rain Man“, in dem Dustin Hofman 1988 einen hochintelligenten erwachsenen Autisten spielte – und dafür einen „Oscar“ gewann.

Jeder 100. neigt zu Autismus – doch Krankheit wird oft nicht erkannt

Neben Kindern kommen auch in die Dresdner Autismusambulanz immer mehr Erwachsene. Darunter eben auch Männer und Frauen, in deren Kindheit autistische Tendenzen nicht erkannt wurden und die nun in speziellen Erwachsenen-Therapien in der Autismusambulanz Hilfe erhalten. Generell sei von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer unerkannter Fälle auszugehen, meint Daniel Klotz. „Geschätzt wird, dass etwa ein Prozent der Bevölkerung an Autismus leidet, wenn man auch die leichteren Formen einrechnet.“ Anders ausgedrückt: Mindestens 5000 Menschen allein in Dresden sind betroffen, in Sachsen über 40.000.

Ambulanz lädt zum Tag der offenen Tür

Zum Tag der offenen Tür am 1. April 2015 können nun potenzielle Patienten, Angehörige und andere Interessierte ab 15 Uhr Vorträge über Fallbeispiele und Behandlungsfortschritte anhören und mit Mitarbeitern der Ambulanz ins Gespräch kommen. Neben der erwähnten Musiktherapie präsentieren die Mediziner auch Handlungs-, Kunst- und Psychotherapien präsentiert, medikamentöse Behandlungen, sogar eine Kochgruppe hat die Ambulanz für Autisten eingerichtet. Zudem will eine Expertin von der Charité Berlin auch neuere Ansätze wie eine Tanztherapie vorstellen. Die Autismusambulanz rechnet mit rund 300 Besuchern. Autor: Heiko Weckbrodt

* Fiktives Fallbeispiel

Tag der offenen Autismusambulanz am Uniklinikum Dresden, Haus 91, Fiederstraße 42, 1. April, ab 15 Uhr. Um Anmeldung wird gebeten: E-Mail: KJPAutismusambulanz@uniklinikum-dresden.de, Mehr Infos hier und hier im Netz

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt