Fraunhofer-Organikelektronik soll Gelähmten und Stummen helfen, per Auge Texte zu diktieren
Dresden, 24. März 2015: Nach schweren Unfällen oder Krankheiten sind manche Menschen derart behindert, dass sie kaum noch mit ihrer Umwelt interagieren können, Querschnittsgelähmte beispielsweise, Stumme oder Patienten, die zwar bei Bewusstsein sind, aber nur noch ihre Augen bewegen können. Diesen Menschen könnte demnächst eine neuartige Organikelektronik-Datenbrille aus Dresden helfen, wieder mit der Welt zu kommunizieren: Sie wird nämlich durch bloße Augenbewegungen gesteuert und kann zum Beispiel vom Träger dafür verwendet werden, um mit seinen Augen Texte zu diktieren. Entwickelt wurde diese neue Brillen-Generation mit höherer Auflösung von Forschern des Fraunhofer-Instituts für Organische Elektronik, Elektronenstrahl- und Plasmatechnik (FEP) in Dresden. Sie wollen ihre Erfindung Mitte April auf der „Hannover-Messe“ präsentieren.
Augengesteuerte Organikbildschirme erweitern Realität
Die Dresdner Fraunhofer-Ingenieure arbeiten bereits seit einigen Jahren an solchen Datenbrillen auf Basis organischer Elektronik, die prinzipiell kompaktere Bauweisen bei weniger Stromverbrauch als herkömmliche Elektroniklösungen zulässt. Dabei hat der Nutzer kleine, aber hochauflösende organische Bildschirme vor Augen, in die Kameras integriert sind. Dadurch kann der Träger sowohl die reale Außenwelt auf den Displays sehen, sich aber auch computergenerierte Bilder, Videos oder Texte dazu einblenden lassen („Augmented Reality“-Prinzip). In die Bildschirme eingebaute Sensoren verfolgen die Augenbewegungen des Nutzers („Eye Tracking“) und interpretieren sie als Steuerbefehle.
OLED-Ansatz anspruchsvoll, aber noch teuer
Dieser Dresdner Ansatz auf Basis „Organischer Leuchtdioden“ (OLEDs) ist insofern technologisch deutlich anspruchsvoller als beispielsweise die „Google Glass“ oder die jüngst auf der CeBit vorgestellten Zwickauer Datenbrille, die nur einfache Grafiken und Texte einspiegeln können. Allerdings wird sie wahrscheinlich auch deutlich teurer sein als Massenmarkt-Datenbrillen – bisher ist sie allerdings noch nicht im freien Verkauf erhältlich.
Interesse aus der Wirtschaft
Ein Vorgängermodell aus der Dresdner OLED-Schmiede „COMEDD“, die inzwischen vom FEP übernommen wurde, gibt es schon seit geraumer Zeit in Form von Testmustern für potenzielle Industrieanwender. Die Nachfrage aus der Wirtschaft an diesem Modell sei auch schon recht hoch, erklärte FEP-Abteilungsleiter Bernd Richter. Man habe bereits mehrere Test-Brillen verkaufen können. Allerdings stießen sich viele Interessenten an der damals noch recht niedrigen Auflösung von OLED-Displays und Sensorik, was wiederum die Augensteuerung zu fehleranfällig machte.
Höhere Auflösung ermöglicht nun zuverlässigere Augensteuerung
Daher haben die Dresdner nun nachgelegt und eine neue Generation ihrer bidirektionalen Mikro-Displays entwickelt, die eine Auflösung von Bildschirm und Sensorik von nun 800 mal 600 Bildpunkten ermöglicht. Damit ist nun auch ein zuverlässigeres „Eye Tracking“ möglich. Auch setzt die verbesserte Datenbrille nun auf Standard-Computerschnittstellen wie HDMI und USB 3.0. Bernd Richter sieht in der neuen Display-Generation einen „Quantensprung“ erreicht.
Datenbrillen auch in Fabriken der Zukunft einsetzbar
Neben dem Einsatz in der Medizin und als Multimedia-Brille für den Videogenuss unterwegs sieht der FEP-Forscher für die neuen organischen Mikro-Bildschirm auch interessante Anwendungsfelder in der Hightech-Industrie und der Sicherheitstechnik. Zum Beispiel in den Chip- und Auto-Fabriken der Zukunft („Fab 4.0“) könnten zum Beispiel Wartungsingenieure diese Datenbrillen tragen, um beide Hände für komplizierte Installationen freizuhaben und sich gleichzeitig per Augenbefehl Handbücher und andere Dokumentationen einblenden zu lassen, ist Bernd Richter überzeugt.
OLED-Abdrucksensoren lassen sich nicht durch abgeschnittene Finger überlisten
Auch könnten die Spezialdisplays zur Konstruktion zuverlässigerer Fingerabdruck-Sensoren eingesetzt werden: Weil die OLEDs sowohl „sehen“ wie auch in verschiedenen Farben leuchten können, könnten sie aufgelegte Fingerkuppen mit Infrarot und anderen Wellenlängen tiefenanalysieren. „Solche Sensoren könnten zum Beispiel auch die Blutzirkulation auswerten und damit erkennen, ob der aufgelegte Finger überhaupt lebt.“ Deutlicher ausgedrückt: OLED-Sensoren könnte man nur schwer mit abgeschnittenen Fingern oder Klebeband-Fingerabdrücken überlisten. Ersteres mag eher ein Horror-Sujet aus Film und Fernsehen sein – doch die Klebeband-Technik wird schon heute von Hackern und „analogen“ Einbrechern genutzt, um Fingerabdrucksensoren auszutricksen. Autor: Heiko Weckbrodt
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