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„Willkommen in Deutschland“ – und die deutsche Asyldebatte

Die 21-jährige Larisa ist mit ihrer Familie aus Tschetschenien nach Deutschland geflohen. Als die Mutter zusammenbricht, muss die große Schwester plötzlich an Mutters Statt für die ganze Familie sorgen. Foto: Foto: Torsten Reimers, Pier53

Die 21-jährige Larisa ist mit ihrer Familie aus Tschetschenien nach Deutschland geflohen. Plötzlich muss die große Schwester an Mutters Statt für die ganze Familie sorgen – und zermürbt sich auch im Versuch, bloß nicht bei den skeptischen deutschen Nachbarn anzuecken. Foto: Foto: Torsten Reimers, Pier53

Facettenreicher Dokfilm über unseren Umgang mit Flüchtlingen

Das niedersächsische Dorf Appel hat etwas über 400 Einwohner. Die Vorgärten sind gepflegt, die Autos geputzt, man hält auf Ordnung. Bis, ja bis der Landrat dem Gemeinderat ankündigt, demnächst 53 Asylbewerber vorbeizuschicken. Die Appelaner fürchten sich vor den angekündigten „Negern“, stellen Schilder vor dem geplanten Heim auf: „53 Asylanten sind zuviel für Appel“. Mit anwaltlicher Hilfe schaffen es Bürgermeister und Bürgerinitiative tatsächlich, das Flüchtlingsheim zu verhindern. Der Dorfwirt vermietet statt dessen seine Hotelzimmer für elf Asylbewerber an den Landrat, der schließlich widerwillig in den sauren Apfel beißt. Erzählt wird diese Geschichte, die stellvertretend für die aktuellen Asyl-Debatten in so vielen deutschen Gemeinden angesichts der neuen Flüchtlingsströme steht, in „Willkommen auf Deutsch“ von Carsten Rau und Hauke Wendler. Angelaufen ist dieser teilweise per „Crowd Funding“ (Internetschwarm-Finanzierung) kofinanzierte Dokumentarfilm nun in den deutschen Kinos.

Werbevideo (Joachim Bornemann):

 

Persönliche Perspektiven von Anwohnern und Flüchtlingen im Fokus

Dabei schauen Rau und Wendler bei weitem nicht so zynisch aufs Thema, wie es der Titel vielleicht indirekt suggerieren mag: Sie klagen nicht vordergründig an, sondern lassen Anwohner wie Flüchtlinge aus oft ganz persönlicher Perspektive über Ängste auf beiden Seiten sprechen, zeigen auch, dass die eher fremdenfeindlich anmutende Bürgerinitiative in Appel nur eine Seite der Medaille sind. Lassen den Albaner Rroke, der letztlich im Dorfkrug von Appel unterkommt, eben auch erzählen, dass er und seine Landsleute sich von den Appelanern dann doch sehr freundlich aufgenommen gefühlt haben. Freundschaften und Empathie kann man den Leuten eben nicht befehlen, das muss sich entwickeln, sagt später einer der Lokalpolitiker in die Kamera.

In Appel gründen die Anwohner eine Bürgerinitiative gegen ein geplantes Flüchtlingsheim. "53 Asylanten sind zuviel", schreiben sie auf ihre Plakate. Foto: Boris Mahlau, Pier53

In Appel gründen die Anwohner eine Bürgerinitiative gegen ein geplantes Flüchtlingsheim. „53 Asylanten sind zuviel“, schreiben sie auf ihre Plakate. Foto: Boris Mahlau, Pier53

Mutter bricht zusammen, „große“ Schwester muss Familie zusammenhalten

Zudem zeigen Rau und Wendler auch, wie sich die Dinge in der nahen Ortschaft Tespe entwickelt haben: Auch dort gab es Ressentiments gegen die Flüchtlinge, die jetzt in der ehemaligen Sparkasse leben. Aber eben auch Rentnerinnen wie Ingeborg Neupert und Eveline Schätzle, die selbst noch 1945 Flucht und Fremdenfeindlichkeit innerhalb Deutschlands erlebt haben. Die nehmen spontan eine tschetschenische Familie unter ihre Fittiche, helfen der 21-jährigen Larisa, die den ganzen Haushalt samt kleinen Brüdern ganz allein managen muss, seitdem die Mutter unter der Last der Abschiebe-Angst zusammengebrochen ist.

Fremde in der Fremde

Und da sind noch Malik und Adiba aus Pakistan. Das Paar musste fliehen, weil es daheim bedroht wurde, nachdem beide trotz unterschiedlicher Religionszugehörigkeit geheiratet hatten. Malik weint oft heimlich, weil er seine Heimat so vermisst und weil er die für ihn so fremde Alltagskultur der Deutschen nicht versteht, erzählt Adiba. Beide fahren zu einem „Internationalen Café“, das die örtliche Kirchgemeinde organisiert hat, damit sich die Flüchtlinge nicht so fremd im Landkreis Harburg fühlen…

Container-Heim für Flüchtlinge im niedersächsischen Meckelfeld. Foto: Boris Mahlau, Pier53

Container-Heim für Flüchtlinge im niedersächsischen Meckelfeld. Foto: Boris Mahlau, Pier53

Ein Stück Pegida ist überall

Natürlich fühlt man sich sofort an Pegida in Dresden erinnert, wenn man diese Geschichten hört und sieht. An die Wutbürgerinitiativen gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“, an das unglückliche Agieren der sächsischen Behörden im Umgang mit Anwohnern von Flüchtlingsheimen. Und diese Parallelen sind kein Zufall: Vielerorts in Deutschland fühlen sich Behörden wie Bürger – ob nun zurecht oder nicht – überfordert von den neuen Flüchtlingsströmen gen Mitteleuropa. Manche sorgen sich da nur um den Wertverfall ihrer Eigenheime, andere fürchten schlicht „den Fremden“, der da zu ihnen kommt, wieder andere aber helfen eben auch, ehrenamtlich und engagiert. Es gehört sicher zu den Stärken von „Willkommen in Deutschland“, dass dieser Dokumentarfilm trotz mancher selbstentlarvender Sequenzen nicht richtet, sondern versucht, alle Seiten zu Wort kommen zu lassen: Die landrätlichen Flüchtlingverteiler, die sich sichtlich wie zwischen alle Stühle gestellt fühlen. Die erbosten Anwohner, die sich von „denen da oben“ übergangen und überrollt fühlen. Vor allem aber auch Flüchtlinge selbst, die wir in ihren menschlichen Ängsten und Sorgen und Hoffnungen erleben, die wir schließlich nur zu gut nachempfinden können.

Fazit: Appell für mehr Empathie

„Willkommen auf Deutsch“ ist ein guter, einfühlsamer und wichtiger Beitrag zur aktuellen Flüchtlingsdiskussion in Deutschland mit all ihren Facetten. Appel ist überall. Oder sollte man sagen: Ein bisschen Pegida ist allerorten in Deutschland zu finden? Autor: Heiko Weckbrodt

Willkommen auf Deutsch“, Dokumentarfilm über Flüchtlinge und (Un-)Willkommenskultur in Deutschland, Deutschland 2014, Regie und Buch: Carsten Rau und Hauke Wendler, 90 Minuten, „Brown Sugar Films Verleih“

Zu sehen ist der Film in Dresden am 28. März 2015, 15 Uhr, zur „Dresdner Bürgerkonferenz“ im Internationalen Kongresszentrum – Aufführung mit Regisseur Hauke Wendler, danach ab 2. April 2015 im Thalia-Kino, Görlitzer Straße 6

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt