Dresden-Lokales, Geschichte
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Dresdens Güter-Großbahnhof verschlang ganzes Dorf

Blick auf die demontierten Gleisanlagen von der Rückseite des verfallenen historischen Bahnhofs-Empfangsgebäudes (Leipziger Bahnhof in Dresden) aus. Foto: Peter Weckbrodt

Blick auf die demontierten Gleisanlagen von der Rückseite des verfallenen historischen Bahnhofs-Empfangsgebäudes (Leipziger Bahnhof in Dresden) aus. Foto: Peter Weckbrodt

„Vergessene Orte“: Leipziger Bahnhof in Dresden, Teil II

Dresden, 11. Februar 2015: In unserer Serie „Vergessene Orte“ haben wir den wildromantisch überwucherten Leipziger Bahnhof in Dresden besucht und erzählen in Teil II unseres Berichts über dessen Zeit als großer Güterbahnhof – und die Perspektiven für die heutige Bahnbrache.

Vom Ortsgüterbahnhof ans Elbkai oder ins Industriegelände

So sind vom früher hier ebenfalls vorhandenen, für Dresden wichtigen Ortsgüterbahnhof kaum noch Reste sichtbar. Das Aufkommen an Waggons für die Be- und Entladung für die örtlich vorhandene Industrie war bis zur Wende in der DDR groß. Einer der bedeutendsten Bahnkunden war die 1854 auf Neudorfer Flur gegründete Dresdner Niederlassung des Unternehmens Villeroy & Boch, zuletzt den Dresdnern als VEB Sanitärporzellan bekannt. Villeroy & Boch erlangte beispielsweise durch die Ausstattung von Pfunds Molkerei auf der Bautzener Straße geradezu Weltberühmtheit.

Neudorf fiel verarmt an Dresden – und wurde Bahnhofs-Erweiterung

Eingefallener Lokschuppen. Foto: Heiko Weckbrodt

Eingefallener Lokschuppen. Foto: Heiko Weckbrodt

Das hier erwähnte Dorf Neudorf zog sich mit etwa 50 kleinen Gehöften längs der heutigen Moritzburger Straße entlang. Völlig verarmt kam es durch einen Vertrag 1866 zu Dresden. Durch die Bebauung mit großstädtischen Mietshäusern geriet es schnell in Vergessenheit. Nur die Eisenbahner des Güterbahnhofes vergaßen es nicht. Für den an der Liststraße gelegenen oberen Bahnhofsteil mit dem Ablaufberg galt bis zuletzt die Bezeichnung „Neudorf“.

Ebenfalls bis in die Zeit nach der Wende querte ein in der Prelle beginnendes Gleis die Leipziger Straße. Über dieses Gleis wurden die im Bereich des Elbkais und des Hafens gelegenen Anschließer bedient. Das waren viele. Dazu gehörten Fabrikanten von Gemüsekonserven ebenso wie Schrotthändler.

Auch Armeemuseum hatte Bahnanschluss

Etwa 30 weitere Anschlussgleise wurden vom Ortsgüterbahnhof im Dresdner Norden, im Industriegelände bedient. Eine über die Hansastraße führende Brücke stellte die Verbindung zum Streckengleis in Richtung Klotzsche her. Zu den Eisenbahnkunden zählte auch das Militärhistorische Museum. Noch nach der Wende erreichten die ersten Bundeswehrgeräte über diese Gleise das Museum.

Was? Nein! Doch! Louis de Funes wacht über den alten Leipziger Bahnhof in Dresden - als Graffiti. Foto: Heiko Weckbrodt

Was? Nein! Doch! Louis de Funes wacht über den alten Leipziger Bahnhof in Dresden – als Graffiti. Foto: Heiko Weckbrodt

Für die Öffentlichkeit praktisch unsichtbar erfolgte die Bildung und Auflösung der Züge im Bahnhofsteil Neudorf. Auch hier ruht der Eisenbahnbetrieb seit einigen Jahren. Ebenfalls wenig bekannt ist, dass es in Höhe der Liststraße einst sogar ein stattliches Bahnbetriebswerk gab. Nach dem Kriegsende erlangte es besondere Bedeutung als Heimat für Dieseltriebwagen. Noch um das Jahr 2000 waren Reste der alten Anlagen erkennbar. Gegenwärtig erledigen Bagger letzte Spuren einstiger Eisenbahnglanzzeiten.

Zeitweise Terminal für Container gen Übersee

Wenig bekannt ist auch, dass dem Güterbahnhof Dresden-Neustadt von 1968 bis 2005 ein kleines Container-Terminal angeschlossen war. Mit zwei Portalkränen ausgerüstet, hatte es mit seinem Straßenanschluss zur Erfurter Straße eine verkehrsgünstige Lage. Hier begann und endete die zeitweilig wichtige Containerzugverbindung zum Überseehafen Rostock.

Globus will das historische Bahnhofsgebäude (rechts) sanieren und die Bahnbögen (links) gen Neustädter Bahnhof wieder öffnen. Visualisierung: Kretschmar + Dr. Borechers

Globus will das historische Bahnhofsgebäude (rechts) sanieren und die Bahnbögen (links) gen Neustädter Bahnhof wieder öffnen. Visualisierung: Kretschmar + Dr. Borechers

„Globus“ plant Markt und will im Gegenzug alten Bahnhof sanieren

Ein Schandfleck wahrlich, denkt der kritische Betrachter dessen, was vom einst – nach dem Verschiebebahnhof Dresden-Friedrichstadt – wichtigsten Dresdner Güterbahnhof geblieben ist. Große Hoffnungen knüpfen Stadtplaner an einen von der „Globus SB-Warenhaus Holding“ der Stadt vorgelegten Bebauungsvorschlag. Dieser sieht unter anderem einen großen Einkaufsmarkt mit 8800 Quadratmetern Verkaufsfläche und weiterer Dienstleistungsbetriebe mit den notwendigen Verkehrsanbindungen vor. Die denkmalgeschützten alten Bahnhofsgebäude will Globus ebenso sanieren wie zwei Güterschuppen. Weiter ist der Bau eines Gebäudes in einer Randlage zur Leipziger Straße vorgesehen.

Werbevideo von Globus für das Projekt
(Visualisierung: KB Architekten):

Handelsunternehmen plant 60-Millionen-Investition

Insgesamt 60 Millionen Euro will Globus sich das kosten lassen, das Grundstück hat es bereits gekauft. Als Baubeginn war bisher 2016 geplant, zwei Jahre später sollte Alles fertig sein. Im Frühjahr 2015 gab der Stadtrat auch mehrheitlich sein Ja zum Vorhaben. Dem folgte eine zweite öffentliche Auslegung der Unterlagen. Wann die nächste Runde der Beratung der überarbeiten Pläne durch Ortsbeiräte, Fachausschüsse und durch den Stadtrat beginnt, ist offen. Inzwischen hat die jüngst erfolgte Neuwahl des Stadtrates dessen Mehrheitsverhältnisse nicht unbedingt zu Gunsten der Globus-Bejaher verändert. Das Ergebnis einer erneuten Abstimmung ist wieder völlig offen.

Ladensterben und Staus durch Globus-Markt befürchtet

Die Argumente der Widersacher des Investitionsvorhaben sind ernst zu nehmen. Die Ansiedlung von Globus bedeute im Verdrängungswettbewerb das endgültige Aus für die letzten, in der Leipziger Vorstadt ums Überleben kämpfenden Einzelhändler. Untersuchungen zum Verkehrskonzept ergaben, „dass das öffentliche, aktuell schon defizitäre Straßennetz im Untersuchungsbereich zwischen Großer Meißner Straße, Marienbrücke und Erfurter Straße infolge des durch das Vorhaben (Globus) zwangsläufig induzierten Neuverkehrs weiter belastet wird“. Auch sei mit spürbar höheren Rückstaubelastungen in den Bereichen Antonstraße und Marienbrücke zu rechnen.

So stellt sich Globus das Gesamtareal zwischen Großenhainer Straße, Eisenbahnstraße und Leipziger Straße vor. Visulaisierung: Kretschmar + Dr. Borechers

So stellt sich Globus das Gesamtareal zwischen Großenhainer Straße, Eisenbahnstraße und Leipziger Straße vor. Visulaisierung: Kretschmar + Dr. Borechers

Befürworter sehen in Globus letzte Chance, um alte Bahnhofsgebäude zu retten

Allerdings bedeuten die Globus-Pläne die einzig realistisch erscheinende Möglichkeit zur Rettung des gesamten Areals, argumentieren wiederum die Befürworter. Das sei der richtige künftige Standort für das Verkehrsmuseum, dem nach 2020 der Auszug aus dem Johanneum droht, sagen andere. Käme Globus nicht „zum Zuge“, würde es wohl bei der Tristesse des schleichenden Verfalls all dessen bleiben, was von einstiger Eisenbahnpracht in unserer Zeit verblieben ist. Autor: Peter Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

Teil I: Zugfahrt in den Tod: Die wechselhafte Geschichte des alten Leipziger Bahnhofs in Dresden

Vergessene Orte: Die Malzfabrik in Niedersedlitz

Vergessene Orte:Rost nagt an Brotfabrik Dölzschen

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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