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Airbus 320 startet vom Uni-Campus

Frauen ans Steuer: Verkehrsingenieur-Studentin Juliane Blank (links) bereitet im Airbus-Simulator den Start vom Flughafen Innsbruck vor. Foto: Heiko Weckbrodt

Frauen ans Steuer: Verkehrsingenieur-Studentin Juliane Blank (links) bereitet im Airbus-Simulator an der TU Dresden den Start vom Flughafen Innsbruck vor. Foto: Heiko Weckbrodt

Dresdner TU-Ingenieure wollen mit aufwendigem Flugsimulator helfen, Airport-Kapazitäten zu vergrößern – ganz ohne Ausbau

Dresden, 26. Januar 2015. Konzentrierte Stille herrscht in der Flugzeugkanzel. Ein Meer aus gelben, grünen, blauen Anzeigen und Lämpchen blinkert und leuchtet, sie wollen im Auge behalten werden. Endlich zieht Ingenieur Lothar Meyer den Schubhebel nach vorn. 100… 120… 140… Take-off! Bei 150 Knoten, umgerechnet etwa 280 Kilometer je Stunde, hebt der Airbus 320 von der bergumrahmten Startbahn in Innsbruck ab. Nach wenigen Minuten haben wir 5000 Fuß Höhe – etwa anderthalb Kilometer – erreicht. „Schauen Sie da: das Inntal!“, dirigiert der Pilot den Blick des neugierigen Cockpit-Gastes auf das rechte Seitenfenster in der Kanzel. Beeindruckend: Obwohl wir uns in Wirklichkeit um keinen Zentimeter bewegen, geht man unwillkürlich in die Knie, als der große Airbus in eine Kurve einschwenkt – so realistisch ist das Erlebnis in diesem ganz besonderen Flugsimulator, den die TU-Ingenieure in einem kleinen Labor an der Hettnerstraße in der Dresdner Südvorstadt aufgebaut haben.

Video: Simulierter Flug ab Innsbruck (hw):

ATM-Labor für komplexere Simulationen geplant

Mit diesem Simulator, der speziell für Forschungszwecke konzipiert wurde, wollen die Ingenieure am Institut für Luftfahrt und Logistik der TU Dresden die Reaktionszeiten von Flugzeug-Piloten verkürzen und damit nicht nur für mehr Sicherheit im Flugverkehr sorgen, sondern letztlich auch die Start- und Lande-Kapazitäten stark frequentierter Airports erhöhen. Auch neuartige Wasserstoff-Energiezellen werden hier demnächst getestet, die bei Triebwerksausfällen effektiver als heutige Lösungen für Notstrom sorgen. „Unsere Vision ist ein umfassendes ,Air Traffic-Management’-Labor, in dem wir das ganze Verkehrsgeschehen in der Luft, inklusive Flugverkehrskontrolle und weiteren Luftraumnutzern simulieren können“, erzählt Lothar Meyer, der das Flugsimulator-Labor am TU-Lehrstuhl für „Technologie und Logistik des Luftverkehrs“ mit aufgebaut hat.

Vollständiges Airbus-Cockpit mit 225°-Leinwand

Ingenieur Lothar Meyer hat den „A 320“-Flugsimulator zu wesentlichen Teilen mit aufgebaut. Foto: Heiko Weckbrodt

Ingenieur Lothar Meyer hat den „A 320“-Flugsimulator zu wesentlichen Teilen mit aufgebaut. Foto: Heiko Weckbrodt

2009 hatte das Team um Professor Hartmut Fricke damit begonnen, diesen Simulator in einem Altbau an der Hettnerstraße zu installieren – Modul für Modul. Inzwischen sind über 300.000 Euro in das Projekt geflossen. Entstanden ist mittlerweile ein Labor, von dem Fans handelsüblicher PC-Flugsimulatoren nur träumen können: ein nahezu vollständiges und mit originalen Instrumenten, Sitzen, Hebeln und Knöpfen bestücktes Cockpit, das die Abläufe in einem Airbus A 320 nachstellt.

Während die meisten „Heimpiloten“ auf einen Bildschirm starren müssen, um den simulierten Flug zu sehen, projizieren hier drei Beamer über dem Cockpit auf eine fünf Meter breite 225-Grad-Leinwand den simulierten Flugablauf, in dem sich Studenten und Forscher ähnlich komplex orientieren können und müssen wie echte Piloten. Im Hintergrund errechnen Computer mit der Spezialsoftware „X-Plane 10“ der Firma Laminar Research solche Parameter wie Steigwinkel, Flughöhe, Luftwiderstand und Auftrieb, visualisieren daraus in Echtzeit den Ablauf des simulierten Fluges, reagieren auf Korrekturversuche der Piloten. Um die Simulation noch realistischer zu machen, haben die TU-Ingenieure zudem eigene Programmmodule hinzugefügt, weitere Ergänzungen sind geplant.

Studenten sammeln Navi-Praxis

„Wir wollen damit die Vorlesungen für Verkehrsingenieur-Studenten um Praxismodule in Navigation und Flugbetrieb erweitern“, erklärt Lothar Meyer. „Wir nutzen den Simulator aber auch für die Forschung.“

Ergonomischere Cockpits sollen Pilotenreaktion verkürzen

Im Zuge eines Projektes, das die „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ (DFG) gefördert hat, untersuchen die TU-Experten beispielsweise, warum Piloten auf manche Anweisungen vom Tower mit einer gewissen Verzögerung reagieren und wie man diese Reaktionszeiten verkürzen kann. Das Projekt ist zwar noch nicht abgeschlossen, aber es zeichnen sich bereits Ansätze ab, wie sich diese Zeiten verkürzen lassen – zum Beispiel durch eine ergonomischere Cockpitgestaltung und verbesserte Drehregler. Und schnellere Pilotenreaktionen bedeuten auch: mehr Jumbos, die innerhalb einer Stunde auf einem Airport starten und landen können, ohne sich ins Gehege zu kommen.

Notstrom aus der Brennstoffzelle, wenn Triebwerke ausfallen

Als nächstes wollen die Luftfahrt-Ingenieure von der Hettnerstraße für einen Luftfahrt-Zulieferer die Integration einer neuen, wasserstoffgetriebenen Brennstoffzelle testen, die künftig in Airbus-Flugzeugen für Notstrom sorgen soll, wenn die Triebwerke ausfallen. „Bisher klappt sich in solchen Fällen eine kleine Staudruck-Turbine aus dem Rumpf, die vom Fahrtwind angetrieben wird“, erklärt Lothar Meyer. „Dieses Aggregat ist allerdings ziemlich leistungsschwach und aufwendig zu warten.“

Dresdner hoffen auf weitere Industrieprojekte

Für eine 225-Grad-Sicht sorgt die Leinwand vor der Airbus-Kanzel. Foto: IFL/TUD

Für eine 225-Grad-Sicht sorgt die Leinwand vor der Airbus-Kanzel. Foto: IFL/TUD

Die Dresdner hoffen, dass sich daraus weitere Projekte gemeinsam mit der Industrie ergeben – und wollen letztlich so auch Drittmittel aus der Wirtschaft für den Simulator-Ausbau anzapfen. Wenn Förder- und Drittmittel so fließen wie gedacht, könnte Ende 2015 das erwähnte „Air Traffic-Management“-Labor (ATM) in Betrieb gehen, prognostiziert Ingenieur Meyer. Um das Simulator-Cockpit als Herzstück wollen die Forscher dann weitere Module andocken, die zum Beispiel Flugkontrolle und bis zu zehn weitere Flieger und Pseudopiloten im Luftraum simultan in das Szenario einspeisen. „Dann könnten wir auch komplexe Gefahrenszenarien im Luftraum realistisch simulieren.“ Und dies würde einerseits den Studenten helfen, mit mehr Ahnung von den Niederungen der Praxis in ihre Ingenieur-Karrieren zu starten, und andererseits das TU-Labor für Flugzeugbauer und andere Industriepartner attraktiver machen.

Landung mit Schwimmeinlage

Inzwischen hat auch unser Airbus seine Schleife über die Tiroler Alpen absolviert und nähert sich wieder dem Inntal. „Vorsicht, Du bist zu schnell“, murmelt Kopilot Thomas Kunze dezent Meyer zu, der sich wohl ein bisschen zu sehr auf die Fragen des Cockpit-Besuchers konzentriert hat. Der Ingenieur korrigiert, richtet den über 30 Meter langen Riesen neu auf die Piste aus, die rasch größer und größer wird. „Rumms“. Der 70-Tonner setzt auf, schlingert, Warnsignale poppen auf, das Terminal rast uns entgegen – und unser eben noch so beschaulicher Flug endet in einem Wasserkanal. Aber auch das gehört eben dazu: Wer zu spät reagiert und sich ablenken lässt, den bestraft der Simulator unerbittlich. Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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