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Dialogeinstieg mit Pegida in Dresden

Pegida-Anhänger und -Gegner am Dialogtisch in der Landeszentrale für politische Bildung am 6.1.2015 in Dresden. Im Hintergrund links: Vermittler Frank Richter Foto:_ Heiko Weckbrodt

Pegida-Anhänger und -Gegner am Dialogtisch in der Landeszentrale für politische Bildung am 6.1.2015 in Dresden. Im Hintergrund links: Vermittler Frank Richter Foto: Heiko Weckbrodt

Weitere Runden in Landeszentrale geplant

Dresden, 6. Januar 2015: Dem erfahrenen Vermittler Frank Richter ist anscheinend heute Abend das gelungen, was lange unmöglich erschien: ein echter Dialog mit „Pegida“-Anhängern. Die ließen heraus, was sie an „dem System“, an „Lügenpresse“, an „Wirtschaftsflüchtlingen“, dem Umgang der Behörden mit dem Bürger und dergleichen stört, bekamen auch kräftig Kontra, hinterher gab es „wohl mehr Fragen als Antworten“, wie der Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung selbst zum Schluss einräumte. Aber er hatte die Pegidisten eben nicht mit einer vorgefertigten Chorografie empfangen, um sie zu demütigen, sondern ihnen die Chance gegeben, auf Augenhöhe ihre Demo-Motive im Zusammenhang zu erläutern. Am Ende gab es Beifall aus allen Lagern im Publikum – und die Ankündigung, die Dialogreihe künftig jeden ersten Dienstag im Monat in der Landeszentrale am Wilden Mann in Dresden fortzusetzen. Nicht dabei waren freilich die Pegida-Anführer wie Lutz Bachmann.

Inhomogener Ärgerstau der Pegidisten: Atomkraft, Kapitalismus, Behörden-Arroganz…

Die Dialog-Premiere zeigte freilich auch, wie inhomogen die Anhängerschaft der „Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (Pegida) ist, dass sie sich quer durch viele Gesellschaftsschichten zieht – und welch teils vollkommen unterschiedlichen Vorstellungen die Pegidisten in „ihre“ Kundgebungen hineinprojizieren: Einer beklagte Angela Merkels Ausstieg aus der Atomkraft, der nächste eine aus seiner Sicht verzerrte Medienberichterstattung über den Russland-Konflikt, wieder andere wetterten gegen die Macht des Geldes und den Kapitalismus als solchen, eher wenige sorgten sich besonders ums Abendland und Muslime, viele aber ärgerten sich lautstark über die so empfundene Arroganz von Politikern und Behörden im Umgang mit der Bürgerschaft.

Video mit (nichtrepräsentativen) Auszügen
aus der Pegida-Diskussion (hw):

Auch Lokalpolitiker vergnatzt

Der Graben durch das Meinungsbild über Pegida und deren Forderungen geht aber offensichtlich auch quer durch die Politiker-Szene: So beschwerte sich Roland Dantz (parteilos), der Oberbürgermeister von Kamenz nördlich von Dresden darüber, dass Lokalzeitungen wie die „Sächische Zeitung“ zunächst versucht hätten, die Pegida-Demos totzuschweigen. Gemeindevorsteher und Bürgermeister aus Perba bei Nossen und Neukirch bei Bischofswerda kritisierten das selbstherrliche Auftreten von Vertretern des Landratsamtes, die den Bürgern unter anderem angedroht hätten, ihnen noch mehr Flüchtlinge zu schicken, wenn sie Ärger machen. Der Dresdner CDU-Politiker Lars Kluger ärgerte sich darüber, wie Probleme „mit militanten Islamisten“ im Lande totgeschwiegen würden.

Pfarrer Wilfried Weißflog, der 1988/89 einer der Köpfe der Proteste gegen das DDR-Projekt Reinstsiliziumwerk in Dresden-Gittersee war, stellte sich hinter Pegida. "Wir sind gegen die IS-Terroristen, aber für das Asylrecht. Aber das wollen die Medien nicht wahrnehmen", kritisierte er. Foto: Heiko Weckbrodt

Pfarrer Wilfried Weißflog, der 1988/89 einer der Köpfe der Proteste gegen das DDR-Projekt Reinstsiliziumwerk in Dresden-Gittersee war, stellte sich hinter Pegida. „Wir sind gegen die IS-Terroristen, aber für das Asylrecht. Aber das wollen die Medien nicht wahrnehmen“, kritisierte er. Foto: Heiko Weckbrodt

Chance auf sachliche Auseinandersetzung gewachsen

Nun mag man recht unterschiedlicher Meinung zu den – manchmal auch etwas diffusen – Unmutsbekundungen, Wünschen und Ärgernissen der Pegida-Anhänger und Sympathisanten sein. Aber was an diesem Abend wohl gelang, war ein Dialog ohne gegenseitige Anbrüllereien, lautstark zwar manchmal, aber zumindest mit der Chance auf eine sachliche argumentative Auseinandersetzung in der Zukunft.

Disput nach Fischglas-Prinzip

Um dieses Gesprächs-Plattform zu schaffen, hatte der Direktor der sächsischen Landeszentrale gezielt Schreiber von zirka 60 Protestbriefen und E-Mails aus dem Pegida-Lager zu einer Diskussionsrunde unter dem Motto „Warum (nicht) zu Pegida gehen?“ zum Wilden Mann in Dresden eingeladen. Letztlich kamen rund 120 Gäste – darunter viele Journalisten und Politiker, aber eben auch offensichtlich viele echte Pegidisten. Das Prinzip dabei: Jeder darf sagen, was er will und sitzt dabei drei Befürwortern oder Gegnern an einem Tisch gegenüber – und kann vor allem sagen, was er will, ohne dass ihm oder ihr ein wohlmeinender Fernsehmoderator ins Wort fällt oder das Gespräch in Belehrungen endet. Wenn dem Publikum das ganze zu monologisch vorkam, konnte jeder an den Vierer-Tisch treten, dem „Schwätzer“ das Wort entziehen und selbst dessen Platz und Rederecht übernehmen. Dieses „Fish Bowl“-Prinzip (Fischglas) auf Augenhöhe hatte die Landeszentrale laut eigenen Angaben bereits mehrfach erfolgreich in Vermittlungs-Veranstaltungen eingesetzt. Zum Schluss gab es viel Beifall für das Format – von allen Seiten. Autor: Heiko Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

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18.000 Teilnehmer bei Pegida – Gebäude werden aus Protest verdunkelt

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Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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