Geschichte, Kommentar & Glosse
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Was ist eigentlich das Abendland?

Bereits Herodot stilisierte den Gegensatz zwischen Ost und West in seiner "Historia" als Kampf der Kulturen - was in Comic-Verfilmungen wie "300" noch einmal überhöht wurde. Abb.: Warner

Die „freiheitsliebenden Spartaner“ des Westens gegen die „barbarischen persischen Sklavenhalter“ aus dem Osten mögen eine ahistorische Vorstellung sein – doch die über 2000 Jahre alte Abendland-Propaganda hat sich bis heute in den Köpfen gehalten. Bereits Herodot stilisierte den Gegensatz zwischen Ost und West in seiner „Historia“ als Kampf der Kulturen – was in Comic-Verfilmungen wie „300“ noch einmal überhöht wurde. Abb.: Warner

Wie ein vage beschriftetes Gefäß, in das jeder etwas anderes hineingießt

Dresden, 8. Dezember 2014. Mit Blick auf die aktuelle Debatte um die „Pegida“-Demonstrationen („Patriotische Europäer Gegen die Islamisierung des Abendlandes“) in Dresden, die sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen insbesondere aus islamischen Ländern richten, wollen wir hier eine Erklärung versuchen, was eigentlich unter dem „Abendland“ verstanden werden kann. Und das ist schwierig: Es gibt keine allgemein anerkannte Definition, vielmehr kann man „das Abendland“ mit einem verschwommen beschrifteten Gefäß vergleichen, in das jeder eine andere Deutung hineingießt. Meist wird es heute als Wertegemeinschaft Europas (meist unter Ausklammerung Ost- und Südosteuropas) und Nordamerikas gedeutet. Verwendet wurde das Wort laut „Kluges Etymologischem Wörterbuch“ etwa ab dem 16. Jahrhundert im Sinne von „Westen“, ab dem 18. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum dann in seiner eher ideologischen Bedeutung.

Ost-West-Propaganda bereits in der Antike

Herodot (ca, 490-424 v. u. Z.). Foto: Marsyas, Wikipedia, GNU-Lizenz

Herodot (ca, 490-424 v. u. Z.). Foto: Marsyas, Wikipedia, GNU-Lizenz

Gelegentlich hört man in Diskussionen um „Pegida“, das Abendland sei als christliche Wertegemeinschaft zu verstehen, doch dies greift sicher zu kurz. Im simpelsten metaphorischen Sinne ist das Abendland als „der Westen“ (dort, wo die Sonne untergeht) zu verstehen, aber untrennbar mit seinem Gegenpart, dem „Morgenland“ (wo die Sonne aufgeht) im Sinne des „Ostens“ verbunden. Dass dieses Gegensatzpaar mehr als nur Himmelsrichtungen, sondern auch eine nahezu unüberbrückbare kulturell-zivilisatorische Kluft repräsentiere, konstruierten bereits antike, also vorchristliche griechische Autoren hinein: Man denke etwa an Herodots Darstellung der Perserkriege, in der bei ihm der Freiheitssinn der hellenischen Polis gegen die Barbarei und den Sklavenhaltergeist des Perserreichs propagandistisch aufgebaut wurde. Oder an Plutarchs Alexander-Biografie, in der ähnliche Topoi eine Rolle spielen, wenn der antike Autor die Mazedonier gegen den Wunsch ihres Feldherrn rebellieren lässt, sich mit dem Osten im wörtlichen wie übertragenen Sinne zu vermählen.

Religiöse Deutung in der Kreuzzugs-Zeit

Vor allem im Vorfeld des 1. christlichen Kreuzzugs 1095 gegen die vorrückenden muslimischen Seldschuken wurde der Gegensatz zwischen West und Ost im Mittelalter dann stärker religiös gedeutet. Insbesondere die Reconquista, die christliche (Rück-)Eroberung der iberischen Halbinsel von den muslimischen Mauren, wurde – nicht nur, aber auch – durch die spanisch-portugiesischen Herrscherhäuser religiös legitimiert, als Rückdrängung des Orients durch den Okzident – wobei es sich hier streng geografisch gesehen eher um einen Nord-Süd-Konflikt handelte.

Völkisch-kulturelle Deutung durch Spengler

Oswald Spengler (1880-1936). Foto: unbekannt, Bundesarchiv, Wikipedia.CC3-Lizenz

Oswald Spengler (1880-1936). Fotograf: unbekannt, Bundesarchiv, Wikipedia.CC3-Lizenz

Seine heutige, meist polemische Bedeutung im Sinne eines Kampfs der Kulturen bekam der Begriff des Abendlandes vor allem durch Oswald Spenglers umstrittenes, aber vielzitiertes Werk „Der Untergang des Abendlandes“ (1918-1922). Er verstand das Abendland vor allem als Kulturkreis – teils auch als Wertegemeinschaft – den er vor allem in den germanisch-romanisch-keltisch dominierten Siedlungengebieten verortete. Als konkurrierende andere Kulturkreise sah er beispielsweise Chinesen, Inder, Araber oder auch Slawen. Diese völkische Deutung wurde spätestens nach dem I. Weltkrieg von einer breiten Mehrheit abgelehnt, prägt aber bis heute die Vorstellung des Begriffes „Abendlandes“ mit. Allerdings sah Spengler den titelgebenden „Untergang“ des Abendlandes eher parallel zum Untergang des römischen Reiches als einen sich über Jahrhunderte erstreckenden endogenen Prozess, der in erster Linie durch innere Zerfallsprozesse und einen Vitalitätsverlust der abendländischen Kultur verursacht werde, durch exogene Faktoren wie eben konkurrierende andere Kulturkreise aber nur forciert oder verlangsamt werden könne.

Bedeutungswandel hin zu einem Bedrohungs-Szenario

Seitdem wurden „Untergang“ und „Abendland“ oft als neue Begriffseinheit verwendet. Nach dem II. Weltkrieg hat sich „Der Untergang des Abendlandes“ – in eher missverständlicher Interpretation Spenglers – in viele Deutungswandlungen aufgespalten, meist aber im Sinne eines Kultur- und Werteverfalls im Westens und/oder einer Bedrohung durch andere Völker und deren Religionen und Weltanschauungen. Ein Grund dafür dürfte gewesen sein, dass zwar viele Spenglers Buchtitel kannten, aber nur wenige die beiden dicken Wälzer auch gelesen hatten.

Gegen „die Anderen“ gerichtet

Auch wenn all dies nur eine Annäherung an „das Abendland“ ist und man noch vieles dazu sagen könnte, liegt doch eine Schlussfolgerung nahe: Die Pegida-Initiatoren berufen sich mit dem „Abendland“ auf einen zwar nicht per se ausländerfeindlichen, aber doch höchst problematischen, längst fremdenfeindlich und seit jeher propagandistisch aufgeladenen Begriff, der ihre Beteuerungen, ausdrücklich „nicht gegen Ausländer“ zu sein, zumindest fraglich erscheinen lässt. Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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