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Magersucht lässt Hirnrinde schrumpfen

Prof. Stefan Ehrlich. Foto: UKD/Wiegand

Prof. Stefan Ehrlich. Foto: UKD/Wiegand

Doch Dresdner Mediziner können Zerstörung rückgängig machen

Dresden, 5. Dezember 2014: Eine Dresdner Studie birgt Hoffnung für Patienten mit Magersucht. Wie Forscher der Medizinischen Fakultät der TU Dresden jetzt herausfanden, lässt sich die bei akuter Magersucht auftretende Schrumpfung der Hirnrinde wieder rückgängig machen. „Bei erfolgreich therapierten Patienten konnten wir eine vollständige Wiederherstellung der Schichtdicke der grauen Substanz beobachten“, sagte Stefan Ehrlich, Professor für angewandte Entwicklungsneurowissenschaften an der Dresdner Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie.

100.000 Messpunkte auf dem Hirn

Für die Studie verwendeten die Forscher weltweit erstmals eine Methode, bei der sie über 100.000 Messpunkte auf der gesamten Hirnoberfläche der Patienten verteilten. Die Messungen begannen zum Zeitpunkt der Aufnahme der Patienten am Dresdner Uniklinikum und erstreckten sich im Schnitt bis zwölf Monate nach einer erfolgreich abgeschlossenen Therapie. Ein hochauflösender Magnetresonanztomograph (MRT) erfasste während jeder Messung die Dicke die Hirnrinde sub-millimeter-genau und konnte somit feststellen, ob und wie viel die Hirnrinde geschrumpft und auch wieder gewachsen ist. Bisherige Studien dokumentierten zwar die Veränderungen der Hirnstrukturen, konnten jedoch nicht den genauen Bereich eingrenzen. Die Ergebnisse der Untersuchung sind jetzt im Fachblatt „Biological Psychiatry“ veröffentlicht wurden.

„Extrem harter Weg“ aus der Magersucht

Nach Ausführungen der Forscher ist für die Regeneration der Hirnrinde eine erfolgreiche Therapie der Erkrankten jedoch unerlässlich. Magersucht – auch unter dem lateinischen Namen „Anorexia nervosa“ bekannt – gilt als therapiert, wenn Patienten nicht nur wieder zu ihrem Normalgewicht zurückgefunden haben, sondern dieses auch halten können. Zudem müssen sie wieder ein normalen Essverhalten aufweisen können und – wenn es sich wie in den meisten Fällen um Mädchen und Frauen handelt – wieder eine normale Menstruation bekommen. Nur etwa die Hälfte der behandelten Patienten können diese Kriterien langfristig erreichen. Für die Betroffenen ist dies den Medizinern zufolge „ein extrem harter Weg bis zu einer völligen und dauerhaften Wiederherstellung“.

Hirnschrumpfung wie bei Alzheimer

Magersucht im akuten Stadium lässt die Hirnrinde in fast allen Bereichen des Großhirns drastisch schrumpfen. „Das Ausmaß der Veränderungen am Hirn infolge einer akuten Magersucht ist den bei einer Alzheimer-Erkrankung beobachtbaren Abbauprozessen sehr ähnlich“, beschreibt Forscher Ehrlich die Folgen der Essstörung. Neben den Hirnstrukturen erlitten auch noch etliche weitere Bereiche und Prozesse des Körpers gefährliche Veränderungen mit schwierigen langfristigen Folgen. Anders als bei der geschädigten Hirnrinde seien diese jedoch oft unumkehrbar. Der Abbau der Knochensubstanz beispielsweise könne nicht mehr rückgängig gemacht werden.

Spezialstation hilft Essgestörten

Die Behandlung von Essstörungen bildet einen Schwerpunkt der Uniklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Patienten aus ganz Deutschland kommen wegen dieser Expertise an die Dresdner Klinik. Zu den Angeboten gehören am „Zentrum für Essstörungen“ eine Spezialambulanz und eine Spezialstation für Essstörungen sowie eine Familientagesklinik, an der eine Multifamilientherapie angeboten wird. Der Dresdner Neurowissenschaftler Ehrlich gilt nach dem aktuellen Ranking der Zeitschrift „Focus“ als Top-Mediziner im Bereich Essstörungen.

Bundesweit über 11.000 Patienten stationär behandelt

Magersucht ist eine besonders unter jugendlichen Mädchen weit verbreitete akute Essstörung. Etwa 11.500 Patienten befanden sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2012 allein in vollstationärer Behandlung. Das diese oft erst begonnen wird, wenn die Gewichtsabnahme schon mehr als offensichtlich ist, dürfte die Dunkelziffer der Erkrankten um Einiges höher liegen.

Jeder sechste Magersucht endet tödlich

Magersucht zählt zu den psychischen Krankheiten mit der höchsten Sterberate. Etwa 15 Prozent der Erkrankten sterben daran. Zwischen 1998 und 2012 verloren pro Jahr zwischen 33 und 100 Menschen – davon 90 Prozent Frauen – ihr Leben. Autor: Katrin Tominski

 

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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