US-Autor Bryson verwebt Geschichten zu Weltgeschichte
1927 war ein Schicksalsjahr für Amerika und die Welt, ist US-Autor Bill Bryson überzeugt: Charles Lindbergh überquerte als erster Pilot nonstopp den Atlantik, Philo Farnsworth erfand in einem Labor in San Francisco fast unbemerkt von der Welt das elektronische Fernsehen, mehrere Notenbank-Chefs beschließen insgeheim in New York eine fatale Leitzions-Senkung, die letztlich die Weltwirtschaftskrise mit auslöst, bald darauf steigen die USA zur Weltmacht auf… All diese Ereignisse verknüpft Bryson zwar sehr US-zentriert, aber doch auch sehr kenntnisreich in seinem Buch „Sommer 1927“, das nun in deutscher Übersetzung erschienen ist und sehr launig zu lesen ist.
Was Amerika damals bewegte: Al Capone, Boxen, Morde
Man merkt dem Autor den Flugfan an, räumt er doch all den Versuchen, den Atlantik fliegend zu queren, in seinem erzählerischen Sachbuch besonders viel Raum ein. Doch er macht daraus eben nicht die x-te Lindbergh-Biografie: Seinen besonderen und kurzweiligen Reiz zieht „1927“ aus dem kunstvollen zeitgeschichtlichen Gewebe, das Bryson da vor uns ausbreitet. Darin verwebt er Weltgeschichte mit dem, was die amerikanische Öffentlichkeit damals bewegte: sie große Missisippi-Flut, Liebes-Morde, spektakuläre Box-Kämpfe oder auch der Aufstieg des Gangsters Al Capone in Chicago.
Reizvoll: Autor verwebt Lebenslinien zu historischer Totale
Dabei stellt er immer wieder Querbeziehungen zwischen den Akteuren her, was sein Buch einerseits zu einer Art Sittengemälde der wilden Zwanziger-Jahre macht, andererseits auch viele politische Entscheidungen und gesellschaftliche Weichenstellungen jener Zeit für uns Nachgeborene erst recht verständlich macht. Wer beispielsweise weiß heute noch zu erklären, warum ein Herbert Hoover erst als größter Wohltäter der Menschheit galt und dann als unbeliebtester US-Präsident aller Zeiten von Franklin D. Roosevelt abgelöst wurde? Oder über die ganz eigene Eisenbahnkultur in den USA der 1920er zu erzählen, in der über 1000 Anbieter mit üppigen Speisewagen-Angeboten um die Gunst von Passagieren rangen? Oder wer erinnert sich noch daran, welch faschistoid bis totalitär anmutende Gesetze im damaligen Amerika die Zwangs-Sterilisation „unwerten Lebens“ erlaubten und exzessive Gesinnungsschnüffelei sanktionierten?
US-zentrierte Sicht auf die Welt
Freilich sollte man „1927“ nicht als wissenschaftlich fundierte Geschichtsschreibung sehen, dazu ist bei aller Informationsfülle dann doch sehr anekdotisch und allzu US-zentriert geschrieben. Lange Passagen über Baseball etwa werden den europäischen Leser wohl nicht allzu sehr anheben. Auch reklamieren Deutsche und Russen die Erfindung der Glotze gern für sich. Und ob die erwähnte Leitzinserhöhung der Fed 1927 nun wirklich mehr als ein weiterer Auslöser für den Börsenkrach und die Weltwirtschaftskrise ab 1929 war, darf man bezweifeln.
Fazit: fluffig zu lesen
Davon mal abgesehen ist Bryson eine kenntnisreiche und vor allem auch sehr schwungvolle Momentaufnahme aus der Vergangenheit gelungen. Sehr fluffig zu lesen! Autor: Heiko Weckbrodt
Bill Bryson: „Sommer 1927“, Goldmann-Verlag, München 2014, 586 Seiten mit 48 SW-Fotos im Anhang, eBuch 20 Euro, ISBN: 978-3-641-12019-1, eine Leseprobe gibt es hierIhre Unterstützung für Oiger.de!
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