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DDR-Rüstung gegen Reagans Sternenkrieg

Der Zusammenbruch der DDR verhinderte letztlich eine Massenproduktion in Ostdeutschland: Die "Wieger 940" wurde im Erzgebirge für den Westexport entwickelt - frei von sowjetischen Lizenzrechten, damit die DDR damit Devisen verdienen konnte, so der Plan. Foto: Tom Raulien, Wikipedia, Public Domain

Der Zusammenbruch der DDR verhinderte letztlich eine Massenproduktion in Ostdeutschland: Die „Wieger 940“ wurde im Erzgebirge für den Westexport entwickelt – frei von sowjetischen Lizenzrechten, damit die DDR damit Devisen verdienen konnte, so der Plan. Foto: Tom Raulien, Wikipedia, Public Domain

Erzgebirgler entwickelten Sturmgewehr „Wieger“ für Westexport

Dresden, 2. November 2014: Wenn Sie heute im Internet mal über Werbung für das automatische Sturmgewehr „Wieger 940“ stolpern, schauen Sie mal etwas genauer hin: Nicht, um sich zu bewaffnen, sondern weil dieses tödliche Instrument zwar in Bulgarien gefertigt und in den USA bis heute für 200 bis 250 Dollar vertickt wird. Aber entwickelt wurde es von der erzgebirgischen Rüstungsschmiede VEB Geräte- und Werkzeugbau Wiesa (daher auch „Wieger“, zusammengesetzt aus „Wiesa“ und „Germany“), einem Betrieb des Kombinats Spezialtechnik Dresden.

Lizenzfreie Waffenkonstruktion

„Diese MPi haben wir in den 80ern für den Export gegen Devisen konzipiert“, erinnert sich Wolfgang Petzold, der vor der Wende Finanzdirektor im Kombinat Spezialtechnik war. „Es war eine Eigenentwicklung, auf der keine sowjetischen Lizenzrechte lagen, sonst hätten wir sie ohne Genehmigung der ,Freunde’ nicht exportieren können.“ Durch den Zusammenbruch der DDR sei die Produktion dieser Waffe nie richtig in Gang gekommen.

Unterlagen verschwanden nach der Wende

Aber plötzlich interessierte sich der vormalige „Klassenfeind“ für das sächsische Rüstungsprojekt. Eines Tages stand ein Kapitänleutnant soundso vor der Kombinats-Tür, sackte die Konstruktionsunterlagen der MPi ein, angeblich, um sie ins Bundeswehrarchiv zu bringen. „Dort sind die Unterlagen aber nie angekommen und die Dienststelle, von der der Mann angeblich kam, kannte seinen Namen auch nicht, haben spätere Erkundigungen ergeben“, erzählt Petzold. Wie genau die Bulgaren letztlich in den Besitz der Lizenz kamen, hat er nie herausbekommen – Fakt ist nur: Bis heute wird diese ursprüngliche DDR-MPi auf den internationalen Waffenmärkten verkauft.

Sternenkrieger Reagan versetzte Russen in Panik

Visualisierung der SDI-Idee, Raketen durch Laser abzufangen - das Konzept funktioniert bis heute nicht. Abb.: US Gov.

Visualisierung der SDI-Idee, Raketen durch Laser abzufangen – das Konzept funktioniert bis heute nicht. Abb.: Wikipedia/ US Gov., Public Domain

Und das ist nur ein Beispiel unter vielen für Rüstungsprojekte in Sachsen. In letzter Instanz war es der Amtsantritt von Ronald Reagan 1981, der zum Ausbau der Rüstungsindustrie im Bezirk Dresden geführt hatte: Weil der neue US-Präsident drohte, das „Reich des Bösen“ totzurüsten und mit Sternenkrieg drohte, führte dies in Moskau zu fast panischen Reaktionen und einem Gegen-Rüstungsprogramm, um den Ostblock mit eigenen Hightech-Waffen auszustatten. Daher übten die sowjetischen „Freunde“ massiven Druck auf den Bündnispartner DDR aus: Die ostdeutsche Wirtschaft sollte zum Beispiel Lasertechnik, Optoelektronik, Computer und andere Spezialtechnik für die Aufrüstung beisteuern. Viele dieser Geheimaufträge landeten bei den Kombinaten Carl Zeiss, Robotron und Spezialtechnik, die wichtige Betriebe im Bezirk Dresden konzentriert hatten (siehe Übersicht).

Russen forderten mehr Wehr-Beiträge vom Juniorpartner DDR

„Die Russen waren unzufrieden, weil der Wehrtechnik-Anteil in der DDR-Wirtschaft so niedrig war und forderten mehr Beiträge“, erinnert sich Petzold vom Kombinat Spezialtechnik.

Er liebte uns alle: Erich Mielke, von 1957 bis 1989 Stasi-Minister. Abb.: R. Mittelstädt, BA, Wikipedia

Stasi-Minister Erich Mielke. Abb.: R. Mittelstädt, ADN, Bundesarchiv, Wikipedia, CC3-Lizenz

Stasi-Minister Erich Mielke formulierte es etwas linientreuer: „Zur Durchsetzung der gegen die sozialistische Staatengemeinschaft betriebenen Konfrontationspolitik sind der USA-Imperialismus und seine NATO-Verbündeten bestrebt, mit einer beispiellosen Hochrüstung, unter Nutzung modernster wissenschaftlich-technischer Erkenntnisse und Technologien, die militärische Überlegenheit zu erlangen“, heißt es im geheimen Minister-Befehl „11/84 zur politisch-operativen Sicherung von Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsvorhaben für moderne, strategisch bedeutsame Waffensysteme“ vom Mai 1984. Im Zuge der „eingeleiteten erforderlichen Gegenmaßnahmen leistet die DDR ihren Beitrag insbesondere durch Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsvorhaben für moderne, strategisch bedeutsame Waffensysteme durch den Einsatz von Ergebnissen der Lasertechnik, Optoelektronik, Elektronik und Datenverarbeitung/Informationstechnik“.

Zeiss-Generaldirektor tobte

Da ist die Freude groß: 1988 drückt Carl-Zeiss-Jena-Chef Wolfgang Biermann (Mitte) Erich Honecker den Megabit-Chip in die Hand. Abb.: ZMD-Archiv

1988 drückte Carl-Zeiss-Jena-Chef Wolfgang Biermann (Mitte) Erich Honecker den Megabit-Chip in die Hand. Abb.: ZMD-Archiv

Dieser Rüstungskurs stieß bei ostdeutschen Wirtschaftsvertretern aber nicht nur auf den gewünschten Jubel. Generaldirektor Wolfgang Biermann vom Kombinat Carl Zeiss Jena beispielsweise tobte hinter verschlossenen Türen, weil er gleichzeitig die DDR-Mikroelektronik voranbringen, die Rüstungssparte forcieren und dennoch noch Devisen mit Zeiss-Optiken besorgen sollte: Man solle ihn nicht „beagitieren“, aus dem Alter sei er raus. „Wenn das Kombinat die Anforderungen auf dem Gebiet Laser-Waffentechnik realisieren soll, dann kann sich Kombinat nichts mehr für den zivilen Bedarf machen“, sagte er bei einem Treffen mit Elektronikminister Felix Meier im August 1983 – und drohte mit Rücktritt.

Kombinat Carl Zeiss bekam Dresdner Betriebe zugeschlagen

Letztlich beruhigte sich Biermann und beugte sich. Zeiss bekam weitere Betriebe zugeschlagen, darunter 1985 den Dresdner Kamerahersteller Pentacon. Dort investierte das Kombinat fast eine Viertelmilliarde DDR-Mark in die Rüstungssparte, ein Großteil floss in einen Neubau an der Enderstraße. Dort und am Pentacon-Hauptsitz an der Schandauer Straße wurden optisch-elektronische Zieleinrichtungen für die Panzerabwehr-Lenkrakete „Konkurs“ und deren Nachfolgemodelle („Objekte 500, 520 und 521“) gebaut. Robotron Karl-Marx-Stadt lieferte den Flugbahn-Korrekturrechner zu, die CSSR die Lafette, das „Werk 3“ des VEB Robotron Meßelektronik Dresden die Abschussvorrichtung, auch die Feinoptischen Werke Görlitz und viele andere VEBs waren an diesem Projekt beteiligt.

Militärrechner aus Dresden und Radeberg

Zwei Ingenieure testen einen "EC 1055"-Rechner im VEB Robotron-Elektronik Dresden. Abb.: Ulrich Häßler, Bundesarchiv, Wikipedia

VEB Robotron-Elektronik Dresden. Abb.: Ulrich Häßler, ADN, Bundesarchiv, Wikipedia, CC3-Lizenz

Und dies war nur ein Rüstungskomplex unter Dutzenden, die als Antwort auf Reagans Drohungen im Raum Dresden aufgelegt wurden. So entwickelte „Robotron Elektronik Radeberg“ beispielsweise einen schnellen Bordrechner für die See-See-Ziel-Rakete 152 (Objekt 016), außerdem die Elektronik für einen Modernisierungs-Satz (Objekt 10) für den betagten Kampfpanzer T 55 sowie mobile Richtfunk- und Rechenstationen für die NVA. Im VEB Strömungsmaschinen Pirna entwickelte sich die „spezielle Produktion“ zum „umfangreichesten Produktionssortiment im Betrieb“, wie die Stasi einschätzte. Dort wurden zum Beispiel unter den Kennungen „Turbuklekt“ und „KES“ stationäre und mobile (letztere auf W50-Laster montiert) Notstromaggregate und Anlasser auf Kleingasturbinen-Basis für Kampfflugzeuge und für das MfS gebaut, aber auch viele Ausrüstungen für die Marine.

Robotron entwickelte Suchkopf-Elektronik für Raketen

Der erwähnte VEB Meßelektronik Dresden arbeitete außerdem an einem Elektronikblock für einen Infrarot-Zielsuchkopf für eine Luft-Luft-Rakete (Objekt 02) und einer „rechnergestützten automatisierten Truppenfeldführung“ (PASAV = Objekt 2236), für die es nach Ostblock-Einschätzung kein NATO-Äquivalent gab und die deshalb besonders strenger Geheimhaltung unterlag.

Kombinat Spezialtechnik ausschließlich für Militäraufgaben

Fast 100-prozentig auf den Militärbedarf fokussiert war das Kombinat Spezialtechnik, dessen Hauptsitz in Dresden-Klotzsche und dessen größter Betrieb die benachbarte Flugzeugwerft war. Dort wurden vor allem MiG-Kampfjets und Mi-Hubschrauber für die NVA, die anderen Ostblock-Luftstreitkräfte und „befreundete Staaten“ wie Syrien, Iran, Irak, oder Algerien gewartet und instandgesetzt. Andere Kombinatsteile stellten Panzerfäuste, Teile für Kalschnikow-Sturmgewehre, eigene MPis sowie Schützenmunition her.

DDR-Rüstung nach der Wende abgewickelt

Der Pentacon-Rüstungsbetrieb an der Dresdner Enderstraße ist heute ein Bürohaus. Foto: Heiko Weckbrodt

Der Pentacon-Rüstungsbetrieb an der Dresdner Enderstraße ist heute ein Bürohaus. Foto: Heiko Weckbrodt

Heute sind – soweit wir das überblicken können – all diese Rüstungsschmieden abgewickelt oder in den zivilen Sektor transformiert worden. Die Treuhand löste das Computerkombinat Robotron ganz auf, von den zahlreichen Ausgründungen ist unseres Wissens nach keine (mehr) im Militärsektor tätig. Ein ähnliches Schicksal erfuhren der Strömungsmaschinenbau Pirna, aber auch die Dresdner Pentacon-Werke. Im Pentacon-Hauptsitz in der Schandauer Straße residieren heute die Technischen Sammlungen Dresden. Der Spezialbetrieb an der Enderstraße ist ein Bürokomplex gegenüber vom Seidnitz-Center geworden. Der Nachfolgebetrieb von Pentacon sitzt gleich nebenan, produziert aber nur noch Industriekameras und entwickelt zum Beispiel Dokumenten-Scanner für Kunstobjekte.

Heute Umwelttechnik statt Waffentechnik

Der Dresdner Kern des Kombinats Spezialtechnik wandte sich nach der Wende größtenteils zivilen Projekten vor allem in der Umwelttechnik zu, firmiert heute als „Spezialtechnik Dresden GmbH“ in Klotzsche. Eine gewisse Rolle spielt noch die Munitions-Sparte, deren Know-How wird für die „umweltgerechte Entsorgung konventioneller Munition und Explosivstoffe“ angeboten. Das Unternehmen wurde von „General Atomics“ übernommen. Dieser Technologiekonzern ist in den USA zwar auch in der Rüstungssparte tätig, hat aber die Dresdner Spezialtechnik (laut eigenen Versicherungen) auf zivile Geschäftsfelder konzentriert. Autor: Heiko Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

Zurück zum „Special ,Geheime DDR-Rüstungsschmieden'“

Überblick über DDR-Rüstungsprojekte in Sachsen

„Spezielle Produktion“ unter höchter Geheimhaltung

Special „50 Jahre Mikroelektronik in Dresden“

Ex-Stasi-Agent: 1983 stand Welt kurz vor einem Atomkrieg

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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