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DDR-Botschaftsflüchtlinge waren Zündfunke der tschechischen Revolution

Foto: V & R

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Dresdner Hannah-Arendt-Institut internationalisiert Totalitarismus-Forschungen

Dresden/Prag, 7. August 2014. Das Dresdner Hannah-Arendt-Institut (HAIT) wird seine Forschungen verstärkt auch auf Englisch publizieren, um international präsenter zu werden. Das betrifft vor allem vergleichende Untersuchungen zu diktatorischen und autokratischen Regimen, aber auch den Vergleich von Transformationsprozessen ehemaliger sozialistischer Herrschaftssysteme und ihren Übergang in Demokratien. Entsprechende länderübergreifende Forschungen wurden bereits veröffentlicht oder sind im Gange. Das gilt gleichermaßen für die zeitgeschichtliche wie politikwissenschaftliche Forschung, betonte HAIT-Direktor Professor Günther Heydemann.

Sachsen, Polen und Tschechen untersuchen gemeinsam Vertreibung und Transformation nach dem Krieg

So wollen die Dresdner Totalitarismus-Forscher demnächst mit polnischen und tschechischen Kollegen in der Dreiländerregion um Zittau aufarbeiten, was sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in Sachsen, Schlesien und im Sudetenland ereignete, was mit welchen Flüchtlingen nach dem Krieg geschah und wie sich „neue diktatorische Strukturen“ dies- und jenseits der neuen Grenzen etablierten. Sowohl in Tschechien wie auch in Polen würden sich die Historiker inzwischen kritischer mit diesen Kapiteln der jüngeren Geschichte ihrer Länder auseinandersetzen.

Historiker kramen in Prager Archiven

Prof. Günther Heydemann. Foto. HAIT

Prof. Günther Heydemann. Foto. HAIT

Durch die Zusammenarbeit mit Archiven in Tschechien konnte das HAIT bereits neue Erkenntnisse zutage fördern, die allein durch Archivstudien in Deutschland kaum möglich gewesen wären. „Wir haben inzwischen eine Dokumentation über die Prager Botschaftsflüchtlinge des Jahres 1989 erarbeitet“, berichtete der Direktor. „Dabei wurde nachweisbar, dass die DDR-Flüchtlinge in der bundesdeutschen Botschaft in Prag zu einem entscheidenden Zündfunken für die spätere samtene Revolution in der ČSSR wurden.“

Tschechen baten DDR-Genossen „dringend“, ihre Bürger ziehen zu lassen

Denn erstmals hatte ein deutsch-tschechischer Forscher grenzüberschreitend Depeschen, Briefe, interne Aktenvermerke und Telegramme zwischen der DDR, der ČSSR, der Bundesrepublik und der Sowjetunion rund um die damaligen Geschehnisse ausgewertet. Dabei offenbarte sich, dass die tschechischen Kommunisten die SED-Führung hinter den Kulissen „dringend baten“, die Flüchtlinge ziehen zu lassen – damit die Ostdeutschen keine Unruhe im Lande stiften sollten. Diese Hoffnung erwies sich freilich als trügerisch: Die tschechische Opposition und insbesondere die Studentenbewegung fühlte sich durch die Botschaftskrise beizeiten zu eigenen Aktionen animiert, die schließlich zum politischen Umbruch in der ČSSR führten, als die Botschaftsflüchtlinge schon längst via Dresden in den Westen abgeschoben waren.

Studie wird zum 25. Jubiläum in Prager präsentiert

Zugleich zeige die Studie aber auch, welchen „enormen logistischen Aufwand“ die zeitweise bis zu 6000 DDR-Bürger in der und um die Botschaft den bundesdeutschen Beamten bescherten: „Bedenken Sie: Es war Herbst und es war kühl“, sagte Heydemann. „Für so viele Menschen Essen, Trinken, Toiletten und Zeltunterkünfte zu organisieren, war alles andere als einfach.“ Präsentiert wird die Dokumentation am 30. September während eines Festaktes zum 25. Jubiläum der Ereignisse in der deutschen Botschaft in Prag.

Das Hannah-Arendt-Institut (HAIT) sitzt im Tillich-Bau der TU Dresden. Foto: TUD/HAIT

Das Hannah-Arendt-Institut (HAIT) sitzt im Tillich-Bau der TU Dresden. Foto: TUD/HAIT

HAIT wünscht Etat-Zuschlag

Dass das HAIT verstärkt versucht, seine Forschungsergebnisse auch auf Englisch zu publizieren und darüber hinaus bestrebt ist, internationale wissenschaftliche Kooperationen einzugehen, hänge zweifellos auch mit der gewachsenen Bedeutung zeitgeschichtlicher Diktaturforschung in Deutschland zusammen, so Heydemann: Im Vergleich zu großen und teils bundesfinanzierten Einrichtungen wie dem „Institut für Zeitgeschichte“ in München/Berlin oder dem „Zentrum für zeitgeschichtliche Forschung“ in Potsdam stelle das HAIT mit seinen elf festen und fünf drittmittelfinanzierten wissenschaftlichen Mitarbeitern und einem Jahreshaushalt von 1,54 Millionen Euro eine eher kleine Institution dar. Die Dresdner müssen sich daher ebenso bemühen, auch international sichtbar zu sein. Wünschenswert sei daher auch eine Etat-Erhöhung durch den sächsischen Landtag, betonte der Direktor. „Dies würde unsere Forschungsmöglichkeiten verbessern.“ Autor: Heiko Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

1 Stasi-.Mann auf 60 Bürger: DDR durchherrscht wie kein anderes Land

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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