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„Wir fühlen uns belogen und betrogen“

Abb.: Heiko Weckbrodt

Abb.: Heiko Weckbrodt

Kein Betriebsrat, kein Tarif und oft falsches Spiel: Sachsens Wirtschaftserfolge gehen teils zu Lasten der Arbeiter

Dresden, 3. Juni 2014: Sachsen präsentiert sich gern als ostdeutsches Vorzeigeland für die Ost-West-Aufholjagd seit der politischen Wende, rühmt seine recht leistungsfähige und exportstarke Industrie. Dies lässt sich teilweise durch die industriellen Traditionen und die relativ hohe Innovationsstärke im Freistaat erklären. Aber ein Teil dieser Erfolgsgeschichte gründet sich eben auch auf einen Wettbewerbs-Vorteil, der gut für den Aufschwung ist, aber zu Lasten der Arbeiter geht: Nur 17 Prozent der privatwirtschaftlichen sächsischen Unternehmen haben einen Tarifvertrag – halb soviel wie in Westdeutschland. Und selbst im ostdeutschen Vergleich (21 Prozent) ist dies eine recht niedrige Quote. Zwar orientieren laut Arbeitsagentur und Gewerkschaften weitere 34 Prozent der Betriebe inoffiziell ihr Lohnniveau an den Tarifen. Doch im Umkehrschluss heißt das: Jedes zweite sächsische Unternehmen zahlt keine Tariflöhne, was meist heißt: Sie entlohnen ihre Mitarbeiter niedriger als die Konkurrenz, bei der die Gewerkschaften einen Fuß in der Tür haben.

Beispiel Leybold Optics Dresden: Geheimniskrämerei bis zum Schluss

Nicht mehr genug gefragt: Beschichtungsanlagen für die Photovoltaik. Abb.: Leybold Optics

Nicht mehr genug gefragt: Beschichtungsanlagen für die Photovoltaik. Abb.: Leybold Optics

Dies sorgt indes nicht nur für weniger Einkommen für die Beschäftigten, sondern gelegentlich auch für eine „Hire and Fire“-Mentalität (sinngemäß übersetzt: „Wie angeheuert, so gefeuert“), wie man sie sonst nur der US-Wirtschaft nachsagt. Denn in den meisten sächsischen Betrieben bleiben nicht nur die Gewerkschaften draußen, sondern gibt es auch keinen Betriebsrat. Laut Schätzungen der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung betrifft dies etwa zwei Drittel aller hiesigen Unternehmen. Und macht solch ein Betrieb dicht oder will Personalkosten sparen, dann gibt es ohne Betriebsrat auch meist keinen Sozialplan, keine Abfindungen, keine Hilfen für die Entlassenen. Und teils nutzen Geschäftsführungen und Konzernvorstände die Abwesenheit von Arbeitnehmer-Vertretern auch dazu, unternehmerische Krisen zu verbergen und der Belegschaft bis zum letzten Tag zu verheimlichen, dass Entlassungswellen hinter verschlossenen Chef-Türen bereits längst beschlossene Sache sind, wie erst jüngst auch das Beispiel „Leybold Optics Dresden“ gezeigt hat, ein Unternehmen, das kürzlich der Solarkrise zum Opfer fiel.

Mutter Bühler gibt sich sozial, doch entlassen wird ohne Sozialplan

So präsentiert sich die Schweizer „Bühler Group AG“ in ihren Geschäftsberichten und Eigendarstellungen gerne als „nachhaltiges, ökologisches und soziales“ Unternehmen. Doch ehemalige Mitarbeiter der Bühler-Tochter „Leybold Optics“ in Dresden, die auf Ausrüstungen für Solarfabriken spezialisiert war, haben das Management von ein ganz anderen Seite kennen gelernt: „Noch im Oktober 2013 hat die Geschäftsführung so getan, als ob alles in Ordnung wäre, obwohl die Schließung des Dresdner Standortes hinter den Kulissen schon entschieden war“, erzählt Ex-Projektleiter Gerd Lunau.

Kündigungen verteilt wie Essensmarken

Am 21. November wurde die Belegschaft dann plötzlich zu einer Versammlung einberufen und gleich hinterher wurden die Kündigungen verteilt wie Essensmarken.“ Es habe keinerlei Sozialplan, Abfindungen oder auch nur Bemühungen gegeben, die Mitarbeiter bei den zahlreichen regionalen Maschinenbauern unterzubringen. Nicht mal einen Dank für die langjährige Arbeit gab es – trotz allen Geredes angeblicher „sozialer Dimensionen“ der Konzernmutter, ärgert sich Lunau. „Wir fühlten und fühlen uns belogen und betrogen. Und die Entlassungen gingen so unwürdig über die Bühne.“

Markus Schlimbach. Foto: DGB Sachsen

Markus Schlimbach. Foto: DGB Sachsen

Laut DGB kein Einzelfall

Und dies ist kein Einzelfall, wie Markus Schlimbach vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) in Dresden. „Gerade in Betrieben, die noch nicht mal einen Betriebsrat haben, lassen Geschäftsführungen die Belegschaft bis zuletzt im Unklaren über die Zukunft und Sozialpläne gibt es dann auch nicht.“ Wohl auch wegen solcher Konstellationen sieht der Vizevorsitzende des DGB Sachsen ein „wachsendes Interesse“ in der hiesigen Wirtschaft, sich auf Druck der Belegschaften tariflich – und damit gewerkschaftlich – zu binden.

Nachträglich Betriebsrat gegründet

Für die entlassenen Leybold-Leute ist dies keine Option mehr. Ein Großteil ging den Klageweg, konnte sich aber vor dem Arbeitsgericht nur kleine Abfindungen von ein bis anderthalb Monatsgehältern erstreiten. Der Rest hat sich nun zusammengetan und nachträglich einen Betriebsrat gegründet. Man hoffe, so doch noch von Bühler einen Sozialplan zu erstreiten, wie das frischgebackene Betriebsrats-Mitglied Thomas Ketschau sagt.

Christof Oswald, Foto: Bühler AG

Christof Oswald, Foto: Bühler AG

Bühler-Personalchef: Suchen nach akzeptabler Lösung

„Wir nehmen die Kritik von einem Teil der Mitarbeitenden sehr ernst“, erklärte Personalchef Christof Oswald von der Bühler AG auf Anfrage. „Es ist uns wichtig, den eingeleiteten Prozess entsprechend den Anfordernissen sachlich und fair abzuwickeln und im konstruktiven Dialog eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden.“ Betriebsrat Ketschau mag daran indes noch nicht recht glauben: „Bisher ging die Bühler-Hilfe für die Leute hier gegen Null.“ Autor: Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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