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Dresdner Hacker wollen Ämterdaten befreien

Die "Open Data"-Aktivisten treffen sich im Dresdner „Grand Chaos Head Quarter“ des Dresdner „Chaos Computer Clubs“. Foto: Heiko Weckbrodt

Die „Open Data“-Aktivisten treffen sich im Dresdner „Grand Chaos Head Quarter“ des Dresdner „Chaos Computer Clubs“. Foto: Heiko Weckbrodt

„Open Data“: Neues Wissenslabor soll für Innovationsimpulse durch freien Datenzugang sorgen

Dresden, 11. April 2014: Junge Programmierer, Hacker und Unternehmer haben im ehemaligen Robotron-Komplex in Sichtweite des Rathauses ein Labor für offenes Wissen gegründet, ein „OpenKnowledge Lab“. Dort wollen sie interaktive Karten, Apps und eBücher entwickeln, um Behörden und öffentlichen Betrieben zu animieren, Ratsunterlagen, Verwaltungsakten, Verkehrs- und andere Daten frei und maschinenlesbar zugänglich zu machen. Dieses „Open Data“-Prinzip könnte das Innovationsklima in der Stadt beflügeln, zu ganz neuen Services führen, an die man heute noch nicht mal denkt, argumentieren sie.

Raum Nr. 3021: Hauptquartier im DDR-Computerkombinat

Passende Deko: Linux-Vollwaschmittel, Floppys, Guy-Fawkes-Masken. Foto: Heiko Weckbrodt

Passende Deko: Linux-Vollwaschmittel, Floppys, Guy-Fawkes-Masken. Foto: Heiko Weckbrodt

Lang sind die Gänge im ehemaligen DDR-Kombinat und verwinkelt. Wer sich nicht verirrt, findet schließlich Raum Nr. 3021. Hämmert der Besucher lange genug gegen die Tür, wird ihm aufgetan – und sieht sich in einem Hauptquartier wieder, das kunstvoll das Medienklischee von der Computerhacker-Zentrale zelebriert und auch wieder bricht. Auf den ersten Blick ein großes Wohnzimmer oder ein Jugendclub: Nahezu jeder Sofa- und Sesselplatz ist mit Notebook-beschoßten Junioren belegt, die Finger wirbeln über die Tastaturen, die Blicke fest auf die Bildschirme gebannt.

Enthüllungsheld Snowden omnipräsent

„…Sourcecode releast…total verbuggt…“ – Software-Kauderwelsch durchwabert den Raum, durchmischt vom Duft aus Teig, Tomate, heißer Wurst und Gemüse durchwabert den Raum. Klar: Eine Pizza bäckt in der Küchenzeile. Später wird ein Disput darüber entbrennen, wer die dort eigentlich reingestopft hat. Einer hat die Faxen dicke, hängt vor dem Großbildschirm ab, auf dem Chefenthüller Edward Snowden gerade ein Video-Interview gibt. Auf der Wand gegenüber zeigt ein Plakat-Snowden in „Uncle Sam“-Manier auf den Betrachter: „I want You!“. Im Regal nebenan hat jemand liebevoll Guy-Fawkes-Masken, die Symbole der Anonymous-Bewegung, drapiert, darüber steht das „Linux-Vollwaschmittel“ parat, umringt von übergroßen 5-1/4-Zoll-Floppies.

Labor im Arbeitsprozess

Als ob hier gerade eine Laboreröffnung bevorsteht, sieht es im Dresdner „Grand Chaos Head Quarter“ des „Chaos Computer Clubs“ nicht wirklich aus, aber das scheinbar autistische Rumprogrammieren und Klicken gehört zum Prinzip: Das neue „OK Lab“ konstituiert sich aus den Programmen und Internetseiten, die hier gerade zurechtgebastelt werden.

OK-Lab-Aktivisten wollen Vorzeigebeispiele entwickeln

„Wir wollen einerseits als Ansprechpartner für Behörden und Institutionen sein, andererseits Beispiele entwickeln, die demonstrieren, was möglich ist, wenn Verwaltungen ihre Daten für die Allgemeinheit freigeben“, erklärt der Informatiker Robert Wartenberg von der Dresdner „Open Data“-Initiative.

Ratsinfos werden ausgelesen

„Wir wollen zeigen, dass freier Datenzugang zu einen echten Mehrwert für den Bürger, Verwaltungen und Unternehmen führt“, meint auch Gregor Schäfer vom Sender „Coloradio“, der selbst an einer „Ratskarte“ mitbastelt, die Daten des städtischen Ratsinfo-System automatisiert abzugreifen versucht, um es bürgerfreundlicher zu machen.

Maschinenlesbare und legale Schnittstellen gefordert

Würden beispielsweise die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB) die Echtzeit-Fahrdaten ihrer Busse und Bahnen über eine automatisierte Schnittstelle („Application Programming Interface” = “API“) zur freien Verfügung freigeben, könnte man daraus Navigationssysteme programmieren, die individuelle wie öffentliche Verkehrsmittel in die Routenplanung voll einbeziehen. Würde die Dresdner Stadtverwaltung ihr Ratsinformationssystem auf diese Weise öffnen, könnte man für mehr Bürgerbeteiligung sorgen, indem zum Beispiel Straßenbauprojekte, über die Stadtrat oder Ausschüsse gerade beraten, mit Stadtvierteln auf interaktiven Karten verknüpfen. „Was alles so möglich ist, zeigt sich oft erst, wenn die Behörden ihre Daten freigegeben haben“, meint Wartenberg.

Umweg über selbstprogrammierte Datenpumpen

Da dies bisher aber noch die Ausnahme ist, behelfen sich die „Open-Data“-Experten derzeit oft noch mit Hilfskonstruktionen: selbstgemachten „Scraper“- und Grabber-Programmen beispielsweise, die die Internetseiten der Verwaltungen abgrasen und daraus maschinenlesbare Datenbanken aufbauen. Student Morris Jobke beispielsweise ist aus Chemnitz zur „OK-Lab“-Gründung gekommen, um zu zeigen, wie er über diesen Umweg aus Bau-Meldungen des Rathauses eine sich ständig aktualisierte Baustellen-Karte der Stadt generiert hat.

Der interaktive Dresden-Reiseführer ist auch als Demonstrator gedacht, um die Chancen von "Open Data" zu zeigen. Abb.: BSF

Der interaktive Dresden-Reiseführer ist auch als Demonstrator gedacht, um die Chancen von „Open Data“ zu zeigen. Abb.: BSF

Auch kommerzielle Nutzung ist gewollt

Jungunternehmer Thomas Skowron aus Dresden wiederum entwickelt in seiner Firma „Lyrk“ mit offenen Geo-Daten einen kostenlosen „Interaktiven Reiseführer“ für Dresden, der weit mehr Infos bietet als die Klassiker wie Booking.com, Google Maps & Co. Dass ausgerechnet er als Unternehmer bei den „Open Data“-Enthusiasten mitmacht, hat gute Gründe: „Vieles von dem, was hier entsteht, ist nichtkommerziell und kostenlos“, sagt er. „Aber Open Data schließt bewusst auch eine kommerzielle Nutzung nicht aus.“

Hoffnung auf Spenden

Hintergrund: Um aufwändigere Projekte zu realisieren, sind die Programmierer-Gemeinden letztlich oft auf Spenden angewiesen und da hoffen sich wiederum auf Hilfe von Unternehmen, die durch „Open Data“ ganz neue Geschäftsmodelle aufbauen.

Verkehrsbetriebe: Wir sind gesprächsbereit

Um an die entscheidenden Rohdaten heranzukommen, sind die „Open Data“-Aktivisten aber auch besonders auf die Unterstützung von Behörden, Verkehrsunternehmen und anderen Institutionen angewiesen. Die DVB beispielsweise stehen nach eigenem Bekunden solchen Projekten aufgeschlossen gegenüber. „Wir sind da gesprächsbereit“, betonte Sprecherin Anja Erhardt.

VVO knobelt derzeit an Datenübergabe

Allerdings liefere das Unternehmen seine Fahrplan- und Echtzeit-Fahrinformationsdaten aus der Leitstelle direkt an den Verkehrsverbund Oberelbe (VVO) und der setzte sich momentan intensiv mit dem Ansinnen der „Open Data“-Freunde auseinander. „Der Verkehrsverbund bereitet derzeit ein Regelwerk vor, in dem die automatisierte Übergabe solcher Daten geklärt wird“, sagte Erhardt. Darin sollen auch urheberrechtliche und technische Fragen geregelt werden, um zum Beispiel eine Überlastung der VVO-Computer durch eine Flut externer Abfragen zu verhindern. „Dieses Papier ist aber noch im Abstimmungsprozess“, so Erhardt. Autor: Heiko Weckbrodt  

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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