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Ex-Humboldt-General Osten: Kollektives Gedächtnis durch Digitalisierung gefährdet

Viele Verlage wollen lieber Papierbücher als eBooks verkaufen - die Leser sehen das zunehmend anders. Abb.: DBV

Das klassische Buch kann Hunderte Jahre alt werden, eBooks hingegen haben Halbwertszeiten von wenigen Jahrzehnten – wenn überhaupt, warnt Manfred Osten . Abb.: DBV

Dresden-Rossendorf, 1. Februar 2014: Durch den digitalen Wandel ist das „kollektive Langzeitgedächtnis“ der Menschheit gefährdet. Davon ist der frühere Diplomat und Generalsekretär der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, Dr. Manfred Osten, überzeugt. Dies geht aus vorab veröffentlichten Passagen seiner Festrede hervor, die er in der kommenden Woche zur Eröffnung der neuen Fachbibliothek im Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) halten will.

Geringe Halbwertszeit für digitale Bücher

Manfred Osten. Foto: Suhrkamp-Verlag

Manfred Osten. Foto: Suhrkamp-Verlag

„Bibliotheken sind die materialisierte Form unseres kollektiven Langzeitgedächtnisses“, so Osten. „Die digitale Revolution demokratisierte zwar den Wissenszugang, die langfristige Speicherung der Wissensschätze geht aber verloren.“ Denn anders als Bücher, die bei richtiger Behandlung Zeiträume von 200 Jahren gut überstehen könnten, würden sich Digitalisate nur zehn bis 20 Jahre halten, da häufig nach dieser Zeit die nötigen Geräte fehlen, um das Wissen wieder abzurufen. „Es besteht Gefahr, dass unser kollektives Gedächtnis Informationen unwiederbringlich verliert.“

Gedächtnistraining durch Lesen

Zudem verweist der der 76-jährige Philosoph und Rechtswissenschaftler auf den möglichen Verlust von Kulturtechniken, wenn das klassische Buch untergehe. „Wie die Neurowissenschaften festgestellt haben, trainieren wir unser Langzeitgedächtnis über motorische Bewegungen beim Lesen. Dieser Effekt geht am Bildschirm leider verloren.“

Nur Teil aktueller Internet-Publikationen wird gesichert

Andererseits unternehmen zahlreiche Bibliotheken und Archive derzeit allerdings große Bemühungen, eine Langzeitarchivierung sowohl nachträglich digitalisierter alter Bücher und Zeitungen, aber auch aktueller Internetpublikationen zu organisieren. Von letzteren könne man allerdings wegen des hohen Aufkommens, des damit verbundenen enormen Sicherungsaufwandes und beschränkter Speicherkapazitäten nur einen kleinen Teil sichern, hatte erst kürzlich der Generaldirektor der Sächsischen Uni- und Landesbibliothek SLUB in Dresden, Prof. Thomas Bürger, eingeräumt.

Die Scan-Roboter der SLUB digitalisieren bis zu 500 Buchseiten pro Stunde. Abb.: SLUB

Scan-Roboter in der SLUB. Abb.: SLUB

SLUB kündigt Ausbau für Langzeit-Speicher an

„Wir stehen jetzt auch in der Pflicht, auch rein elektronische Publikationen für die Nachwelt zu sichern“, sagte Bürger im Oiger-Gespräch. Dafür sei es indes nötig, massentaugliche Prozeduren („Workflows“) zu entwickeln. Gesichert könne auch nur ein Ausschnitt – im Falle der SLUB ein repräsentativer Querschnitt durch Internet-Publikationen aus Sachsen.

So gebe es beispielsweise eine Abgabepflicht für wissenschaftliche elektronische Veröffentlichungen an die Bibliothek. Bürger kündigte an, dass die SLUB gemeinsam mit der TU Dresden dafür ihre Langzeit-Archivierungsspeicher ausbauen werde. Insgesamt verwaltet die SLUB derzeit 1,2 Petabyte (Billionen Zeichen) Daten, ein Großteil davon Retro-Digitalisate, die angefertigt wurden, um den Inhalt alter Bücher, Handschriften und Fotos vor dem Zerfall zu retten.

Helmholtz-Bibliothek für 2,3 Mio. € saniert

Die alte Fachbibliothek im Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf. Foto: HZDR

Fachbibliothek im Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf. Foto: HZDR

Auch die neue HZDR-Fachbibliothek ist als solch ein Erinnerungsspeicher zu verstehen. Die Modernisierung des Bibliothek-Altbaus auf dem Forschungscampus in Dresden-Rossendorf kostete 2,3 Millionen Euro. Die Fachbibliothek bietet nun 21 Leseplätze sowie 18 weitere Plätze in neun Büros für HZDR-Wissenschaftler wie Gastforscher.

Der Umbau begann im Dezember 2012. „Nach der ersten Komplettsanierung des gesamten Gebäudes seit dem Bau im Jahre 1958, steht den Wissenschaftlern und Gästen des HZDR nun eine moderne Bibliothek, die an das veränderte Informations- und Kommunikationsverhalten angepasst ist, zur Verfügung“, freut sich die Leiterin der Bibliothek, Edith Reschke. Autor: Heiko Weckbrodt

Zum Weiterlesen:

SLUB: Wer sich gegen die Digitalisierung stemmt, geht unter

Rossendorfer wollen künstliche Planetenkerne zünden

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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