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Roman-Trilogie „Die Tribute von Panem“: Frisch frisiert in den Tod

Katniss Everdeen alias der "Spotttölpel" schießt den Vogel ab. Abb.: Oetinger

Katniss Everdeen alias der „Spotttölpel“ schießt den Vogel ab. Abb.: Oetinger

Was den Spotttölpel Katniss zur Heldin einer Generation macht

Katniss Everdeen ist die Heldin des Castingshow-Zeitalters: In der dystopischen Jugendbuch-Trilogie „Die Tribute von Panem“ zieht sie – stets frisch frisiert – unerschrocken in den Kampf gegen Diktatur und perfide Präsidenten und findet damit ein Millionen-Publikum sowohl in unserer wie in ihrer virtuellen Welt. Und zwar nicht nur unter Teenies, sondern auch Erwachsenen. Irgendwie muss Autorin Suzanne Collins den Nerv der Zeit getroffen haben, wenn eine 16-Jährige mit Fernseh-Verve zur Heroine einer Generation werden kann.

Ist es, weil das Mädchen Katniss immer erst in den Kampf zieht, wenn ihr persönliches Stylisten-Team sie mit allem modischen Chic versehen hat? Weil sie unbewusst virtuos auf der Klaviatur der Massenmedien einer pervertierten TV-Welt spielt, die so sehr an das Casting-Show-Unwesen unserer Tage erinnert? Dies allein würde ihr wohl allein die Begeisterung modevernarrter Backfische sichern. Doch haben die Buchtrilogie und die zwei Verfilmungen ein weit breiteres Publikum gefunden.

Brot und Spiele wie im alten Rom

Um dies zu verstehen, muss man die Story kennen: „Die Tribute von Panem“ setzen 74 Jahre nach einem verheerenden Krieg ein, der die USA alias „Panem“ in Hunger und Diktatur stürzte. Das Land ist in 13 Distrikte eingeteilt, beherrscht vom tyrannischen Präsidenten Snow, der das Land in Hunger-Geiselhaft hält. Nur eine exaltierte Elite, die sich im „Capitol“ in den Rocky Mountains verschanzt hat, lebt in Saus und Braus. Nur sie bekommt – in Anlehnung das Herrschaftsprinzip „Brot und Spiele“ der altrömischen Kaiser – „Panem“ (Essen bis zum Würgen) und Hungerspiele geboten.

Videoanriss (Oetinger):

Kinder kämpfen für Kameras auf Leben und Tod

Und letztere sind der Dreh- und Angelpunkt in Collins’ Story: Um das einst aufmüpfige Volk zu strafen, muss jeder Distrikt Jahr für Jahr ein Mädchen und einen Jungen im Alter zwischen 12 und 18 als Tribute ins Capitol entsenden. Dort sollen die Kinder in einer Fernsehshow-Arena auf Leben und Tod kämpfen, nur eine(r) darf als „Sieger“ überleben. Und die 16-jährige Katniss, die sich freiwillig für ihre ausgeloste Schwester für das Todesspiel meldet, ist seit 74 Jahren die erste, die dieses tödliche Gesetz zu durchbrechen weiß – und als „Spotttölpel“ fortan zur Galionsfigur einer Hungerrebellion wird.

Grundkonzept wenig logisch

Suzanne Collins. Foto:  Cap Pryor

Suzanne Collins. Foto: Cap Pryor

Nun muss man kein Historiker oder Politologe sein, um zu erkennen, dass dieser Plot etwas an Unglaubwürdigkeit krankt: Eben jene Römer, auf die sich Collins beruft, wussten auch: „Divide et impera!“ – „Teile und herrsche!“ Ein Regime aber, das statt dessen den Unterworfenen nichts lässt, um sich daran zu klammern, das ihnen jährlich die Kinder wegnimmt und in Gladiatorenspiele mit nahezu sicher tödlichem Ausgang schickt, würde sich auch mit ganzen Division von „Friedenswächtern“ keine 74 Jahre halten, sondern neue Putsche provozieren. Denn wer nichts zu verlieren hat, findet sich mit Unrecht umso weniger ab.

Sog aus Isolation, Angst und Überlebenswille

Akzeptiert man jedoch dieses alogische Grundkonstrukt, so fesselt das Schicksal des „Spotttölpels“ Katniss ungemein: Anders als in den etwas rundgelutschten Verfilmungen erzählt Collins in ihren Büchern schonungslos vom brutalen und nahezu wölfischen Kampf Kind gegen Kind, entwickelt einen magischen Sog aus Isolation, Angst und Überlebenswillen. Dies funktioniert nicht zuletzt durch ein – für Bestseller-Verhältnisse – hohes sprachliches Niveau und die strikt subjektive Perspektive eines Mädchens, das wider Willen ins Rampenlicht gezerrt wird, das gleichermaßen stark wie zutiefst menschlich handelt und denkt. Und das intuitiv mit den allgegenwärtigen Kameras spielt, ihr Image nutzt, um zu überleben, um mit medialer Selbstinszenierung „das System“ für ihre Zwecke einzuspannen.

Reflex auf Selbstinszenierungsmanie unserer Zeit

Dies mag auch als literarisches Echo auf das Lebensgefühl einer Generation zu verstehen sein, die mit Selbstinszenierung auf Facebook, in „Talente“-Shows und anderen Medien groß geworden ist – und dies als Königsweg gegen globalisierte Konzernmacht, Umweltzerstörung und Supermacht-Gehabe sieht. Die Botschaft: Auch Du kannst etwas bewegen!

Fazit: Verstörend, manipulativ, magisch

Abb.: Amazon

Abb.: Amazon

Die drei Bücher spannen den Bogen von der ersten Tribute-Auslosung in Katniss’ Heimatdistrikt 12 bis zum Endmonsterkampf im Capitol – wobei der dritte Band anfänglich etwas zähe wirkt und längst nicht so eindringlich wirkt wie die ersten beiden Bücher. Das in der Trilogie verarbeitete Grundthema eines von einer übermächtigen Instanz inszenierten und medial ausgetragenen Kampfes auf Leben und Tod mag nichts Neues sein – man denke nur an „Running Man“ oder „Gantz“. Doch so eindringlich und subjektiv, wie dies in den „Tributen von Panem“ geschildert wird, wie da einer medial degenerierten Gesellschaft der Spiegel vorgehalten und gleichermaßen ein Hohelied auf die Selbstinszenierung gesungen wird und dies auf recht ansprechendem literarischen Niveau, kann der Leser eigentlich gar nicht anders als die Abenteuers des Spotttölpels zu verschlingen – und von dieser brutalen wie menschlichen Geschichte berührt zu sein. Autor: Heiko Weckbrodt

Suzanne Collins: „Die Tribute von Panem“, erschienen als eBuch-Gesamtausgabe mit den Bänden „Tödliche Spiele“, „Gefährliche Liebe“ und „Flammender Zorn“ als Kindle-Edition für 30 Euro, insgesamt 1280 Seiten, Verlag Friedrich Oetinger 2013 (Original: New York 2008-2010), ASIN: B00GYB8Q4G, Leseprobe hier
Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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