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Wie der Dresdner TU-Windkanal Skeletten zu Gold verhilft

Das Sportgeräte-Institut FES testet im Dresdner TU-Windkanal unter anderem die aerodynamik von neuen Skeletons und Sportanzügen. Abb.: FES

Das Sportgeräte-Institut FES testet im Dresdner TU-Windkanal unter anderem die Aerodynamik von neuen Skeletons und Sportanzügen. Abb.: FES

Dresden, 14. September 2012: Es ist Freitagnachmittag und Frank Rommel legt sich flach auf den Boden und streckt sich weit, weit aus. Freilich nicht, um ins Wochenende hinein zu dösen: Dem Skeleton-Piloten steht ein anstrengender Nachmittag bevor, in dem er x-mal durch einen Wind der Stärke 12 getrieben wird und dabei keinen Moment herumzappeln darf. „Wenn man da einmal zuckt, werden die Messwerte unsauber – das ist das eigentlich Anstrengende am Windkanal“, weiß Rommels Kollegin aus dem Bundesteam, Marion Thees, der gleich Ähnliches bevorsteht.

Wir befinden uns in einem äußerlich unscheinbaren 50er-Jahre-Bau auf dem Johannstädter TU-Campus und der ist – was wohl nur wenige Außenstehende wissen – „vollgepflastert mit Windkanälen“, wie Arbeitsgruppen-Chef Dr. Veit Hildebrand mit einem breiten Grinsen sagt. Und da hat er noch nicht mal den Überschall-Kanal im fernen Merkers südlich von Eisenach dazugerechnet: In dem früheren Salzbergwerk testet eines seiner Teams in 450 Metern Tiefe regelmäßig Überschall-Flugkörper bei Mach 2,5 auf Herz und Nieren.

Prüfstände entstanden einst für DDR-Flugzeugindustrie

Das Röhrensystem des TU-Windkanals - vorne mittig der Teststand, auf dem sich auch die Sportler flachlegen. Abb.: TUD

Das Röhrensystem des TU-Windkanals – vorne mittig der Teststand, auf dem sich auch die Sportler flachlegen. Abb.: TUD

Der größte von Hildebrands Windkanälen ist aber der in der Dresdner Johannstadt – der, in dem gerade unsere Profi-Schlittenfahrer bestürmt werden. Die ersten Teststände wuchsen hier ab 1955 für Walter Ulbrichts Traum vom Fliegen. Der für Geschwindigkeiten bis 200 Km/h ausgelegte Acht-Meter-Riese wurde aber erst 1962 fertig, als die DDR-Luftfahrtindustrie gerade eingestampft wurde.

Doch weil Experten und Technik nun einmal da waren, suchten sich die Experten neue windige Herausforderungen – und erarbeiteten sich damit in Fachkreisen internationale Anerkennung. Denn sie verhalfen vielen DDR-Radrennprofis und Bobfahrern zu olympischen Medaillensegen, nach der Wende testeten sie an Modellen beispielsweise Wind- und Druckverhältnisse für den neuen Reichstag oder für die Allianz-Arena in Stuttgart aus.

Mittlerweile machen Aufträge von Industrie und anderen Partnern zwei Drittel der Arbeit in der Windkanal-Gruppe aus. „Unser jüngstes Projekt war die Entrauchungsanalyse für das Berliner Stadtschloss“, erzählt Hildebrand. Auch der Melkus-Sportwagen RS 2000, der Militär-Airbus A 400 M und allerlei geheime Projekte waren hier im Original oder als Modell auf dem Prüfstand… „Ich glaub, da darf ich nicht drüber reden“, würgt der Windkanal-Chef das Thema an dieser Stelle ab.

„Hier geht vieles, was in anderen Windkanälen nicht geht“

Aber mit dem, was nach außen dringen darf, könnten die Windexperten eigentlich hausieren gehen. „Die TU-Leute gehen zu 100 Prozent auf unsere Wünsche individuell ein“, lobt Skeleton-Projektleiter Ralf Fahrenbach vom „Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten“ (FES). „Hier geht vieles, was in anderen Windkanälen nicht geht. Zum Beispiel können die Sportler hier während der Tests durch ein Fenster auf den Monitoren verfolgen, wie sich ihr Luftwiderstand und ihr Tempo verändert, wenn sie einen Arm anwinkeln oder ein Bein strecken.“ Zwar gebe es bundesweit natürlich auch andere Windkanäle – solche wie der in München zum Beispiel seien aber sehr auf die Autoindustrie zugeschnitten und für Sportler weniger geeignet.

Skelekton-Bundestrainer und Ex-Olympia-Sieger Jens Müller sieht das ganz ähnlich: „Die Zusammenarbeit mit der TU Dresden hat sich sicher aus der Geschichte ergeben, aber die Zusammenarbeit ist eben auch sehr gut. Und die haben hier sehr erfahrene Experten.“

Damit meint er vor allem Ingenieur Hennig Siemens, der schon seit den 1970ern an Bord ist – inzwischen zwar längst verrentet, aber als Honorarkraft hat er sich dann doch wieder an seinen Traumarbeitsplatz „geschmuggelt“.

Bei jedem Windkanal-Durchlauf werden kleine Änderungen an Design und Anordnung ausprobiert. Abb.: hw

Bei jedem Windkanal-Durchlauf werden kleine Änderungen an Design und Anordnung ausprobiert. Visualisierung.: hw

„Die Kooperation mit den Sportlern begann etwa Mitte der 70er“, erinnert sich Siemens. „Zuerst haben wir für die Radsportler die Rennräder optimiert, die Rahmen, die Haltung der Fahrer, die Anzüge und Helme in Windkanal getestet. Wenig später kamen dann die Kufensportler, vor allem die Bobs, dazu, die wir auf Aerodynamik getestet haben.“
Vor etwa drei Jahren begannen dann auch die Tests an den flachen Schlittenschalen, den „Skeletons“. „Durch die Vorgaben in den Reglements hat man ja an den Geräten selbst nur wenig Spielraum, da kann man zu Beispiel die Position der Griffe etwas verändern“, betont der Ingenieur.

Jede Naht kann über Sieg oder Niederlage mitentscheiden

Über Sieg oder Niederlage kann da schon eher die rechte Körperhaltung der Piloten auf individuell an sie angepassten Schalen entscheiden, ob die Naht am Anzug weiter oben oder unten angesetzt wird, wie rau der Stoff ist und dergleichen – und all dies wird im Johannstädter Windkanal immer und immer wieder durchprobiert, bis ein – wohl immer nur vorläufiges – Optimum erreicht ist.

Inzwischen hat auch Pilot Rommel eine Testreihe abgeschlossen und klettert in seinem aalglatten schwarzen Anzug weg vom acht Meter hohen Windkanal-Schlund zum Brötchentisch und haut rein. Sofort sprinten Techniker zum Skeleton, um eine neue Einstellung zu justieren, während Ingenieur Siemens alles überwacht. „Auf den Mann kann man sich verlassen“, nickt Fahrenbach in Richtung des Seniors. „Siemens hat 30 Jahre Kampferfahrung.“ Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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