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Dresdner TU Physiker Dr. Mader: Vielleicht erst eines von fünf Higgs-Bosonen gefunden

Haben die Physiker eines der wichtigsten Rätsel gelöst, nämlich, wie aus der Energiehölle des Urknalls Masse und Materie entstanden und das Universum, wie wir es kennen? Forscher des europäischen Kernforschungszentrums CERN haben im weltgrößten Teilchenbeschleuniger LHC mutmaßlich das legendäre Higgs-Boson gefunden, das laut Theorie der Welt erst Masse verleiht. Auch Dresdner Forscher waren und sind an der Higgs-Suche beteiligt – Heiko Weckbrodt hat Dr. Wolfgang Mader vom TU-Institut für Kern- und Teilchenphysik befragt.

Dr. Wolfgang Mader. Abb.: privat

Dr. Wolfgang Mader. Abb.: privat

Was halten sie von den Nachrichten aus dem CERN?

Das ist ein großer wissenschaftlicher Erfolg, keine Frage. Wenn gleich zwei Detektoren wie ATLAS und CMS auf das Higgs-Boson hindeuten, dann ist ein Zufall sehr unwahrscheinlich. Es wird allerdings noch eine Weile dauern, bis die Forschergemeinde das neue Teilchen mit den Vorhersagen für den Spin, die Parität und Zerfallskanäle verglichen hat und wir sicher sein können, dass es das Higgs-Boson ist – oder vielleicht nur ein Higgs-Boson.

Wie meinen Sie das?

Gerade in unseren Arbeitsgruppen in Dresden untersuchen wir auch die Möglichkeit, dass es sogar fünf verschiedene Higgs-Bosonen geben könnte und wir vielleicht nur eines davon gefunden haben. Die Suche geht also weiter.

Was hat Otto Normal-Dresdner vom Higgs-Boson und all der teuren Technik, die man in die Suche investiert hat?

Nun ja: Wenn Sie morgen zum Bäcker gehen, werden Sie davon nichts merken. Aber die Menschheit profitiert schon jetzt von der Higgs-Suche, ohne es recht zu merken. Zum Beispiel verwenden moderne Röntgengeräte in Krankenhäusern heute keine Filme mit ihren ständigen Über- und Unterbelichtungen mehr, sondern Silizium-Detektoren, die seinerzeit für die Teilchenphysik entwickelt wurden und viel schärfere Bilder liefern. Auch die Tumor-Behandlung durch schwere Teilchen – so genannte Hadronen – hat durch die neuen Beschleunigertechnologien große Fortschritte gemacht.

Vor allem aber muss man sich eines vor Augen halten: Die Neugier darüber, wie die Welt im Innersten funktioniert, war schon immer ein zentraler Impuls, der die Menschheit vorangebracht hat. Und diese Neugier hat uns auch getrieben, das Higgs-Boson zu suchen.

Inwieweit ist Dresden in die Higgs-Suche involviert?

Wir haben uns unter anderem in der Aufbauphase des LHC-Beschleunigers an der Konstruktion der Detektoren beteiligt, zum Beispiel gemeinsam mit der Rossendorfer Firma Iseg am Bau des „Liquid Argon“-Kalorimeters. Seitdem beschäftigen wir uns mit der Analyse der vom LHC gelieferten Daten, auch mit Blick auf Symmetriemodelle* in der Teilchenphysik. Und das TU-Zentrum für Hochleistungszentrum stellt Arbeitszeit an einem Supercomputer-Cluster zur Verfügung, um Daten vom ATLAS-Detektor am CERN auszuwerten.

Anmerkung:

* Symmetrie-Untersuchungen in der Teilchenphysik gehen unter anderem der Frage nach, ob das Standardmodell der Elementarteilchen weitere „Spiegelbilder“ hat, aber auch, warum es im Universum eine offensichtliche Assymmetrie gibt: Statt zum Beispiel gleichermaßen in Materie und Antimaterie zu zerfallen (was für uns katastrophal wäre), ist aus der Urknall-Singularität offensichtlich ein Materieüberschuss hervorgangen – sonst wäre alles Stoffliche im Universum schon längst wieder zerstört. hw

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt