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Dresdner Biotech-Firma „UroTiss“ züchtet Transplantate aus Schleimhaut

Aus Mundschleinhaut-Stücken, die etwa so groß sind, wie ein Viertel einer Cent-Münze wachsen in drei Wochen auf einem speziellen Trägermaterial pateinteneigene Zellimplantate heran. Abb. (3): UroTiss

Aus Mundschleinhaut-Stücken, die etwa so groß sind, wie ein Viertel einer Cent-Münze, wachsen in drei Wochen auf einem speziellen Trägermaterial pateinteneigene Zellimplantate heran. Abb. (4): UroTiss

Dresden, 18.1.2011: Eine Entwicklung der Dresdner UroTiss GmbH könnte schon bald Tausenden Patienten mit Verengungen der Harnröhre Schmerzen und Komplikationen nach Operationen ersparen. Das in Reinraumlaboren aus patienteneigenem Gewebe gezüchtete Zelltransplantat „MukoCell“ ist das weltweit erste Produkt der Biotechnologie „Tissue Engineering“ mit Marktzulassung für den Einsatz in der Urologie.

Blick in das neue Forschungslabor der UroTiss GmbH im Bioinnovationszentrum am Tatzberg.

Blick in das UroTis-Forschungslabor im Bioinnovationszentrum am Tatzberg.

Stolz präsentierte Gouya Ram-Liebig in Dresden zahlreichen Gästen, die zur Einweihung gekommen waren, ihr neues Forschungslabor für regenerative Medizin im Bioinnovationszentrum am Tatzberg. Hier will sie gemeinsam mit ihren Mitarbeitern „MukoCell“ verbessern und Ersatzgewebe für weitere Anwendungen in der Urologie entwickeln, die dann von Sachsen aus an Kliniken in der ganzen Welt verschickt werden sollen. Die aus körpereigenen Zellen der Patienten gezüchteten Gewebestücke werden als Implantate vom Immunsystem nicht abgestoßen und wachsen deshalb schnell und gut an.

Dirk Fahlenkamp, Chefarzt der Klinik für Urologie in den Chemnitzer Zeisigwaldkliniken, ist begeistert von dem Zelltransplantat aus Dresden. Er schätzt vor allem die Vorteile für die Patienten. Denen werden bislang üblicherweise große Stücke der Mundschleimhaut entnommen, um damit Defekte der Harnröhre zu beheben. Oft, so Fahlenkamp, sei die eigentliche Operation schnell verheilt, die Wunde im Mund bereite aber noch lange Probleme.

Mini-Probe wächst zu Ersatzgewebe heran

Für die Anzüchtung der „MukoCell“-Transplantate wird nur noch ein kleines Stück Mundschleimhaut benötigt – etwa so groß wie ein Viertel einer Cent-Münze. Es kann – anders als bei der großflächigen Mundschleimhautentnahme – ohne Vollnarkose entnommen werden, und die Wunde ist schnell verheilt. Drei Wochen nach der Entnahme ist das Gewebestück auf einem speziellen Trägermaterial aus Kollagen auf die benötigte Größe gewachsen.

2009 rekonstruierten die Dresdner Harnröhren im Tierversuch am Schwein. Noch im selben Jahr folgte der erste Einsatz beim Menschen am Uniklinikum in Leipzig. Inzwischen ist die klinische Erprobungsphase am Uniklinikum Hamburg Eppendorf und an den Zeisigwaldkliniken in Chemnitz so gut wie abgeschlossen. 16 Patienten wurden bislang in Chemnitz, Leipzig und Hamburg erfolgreich mit der neuen Methode operiert. Jetzt sollen weitere Kliniken zum Beispiel in Berlin, Lüneburg und Hof folgen.

Verfahren könnte jährlich 50.000 Patienten helfen

Immerhin wird in Deutschland jedes Jahr 2000 bis 3000 Patienten mit Defekten der Harnröhre Mundschleimhaut transplantiert. Fahlenkamp schätzt das Potenzial für den Einsatz von MukoCell perspektivisch auf 50.000 Operationen pro Jahr. Die Dresdner Firma will bald auch Transplantate für Defekte der Harnblase oder der Harnleiter zwischen Niere und Blase liefern.

UroTiss-Chefin Gouya Ram-Liebig: „Der im Labor erzeugte Gewebeersatz MukoCell eröffnet neue Behandlungsmöglichkeiten in der Urologie und ist für die regenerative Medizin insgesamt ein wichtiger Schritt.“

Dass ihr neues Labor nahezu Tür an Tür mit jenem liegt, in dem das Axolotl erforscht wird, findet Guoya Ram-Liebig spannend. Ist doch der kleine Lurch, dem Gliedmaßen und Schwanz, wenn sie abgetrennt wurden, einfach nachwachsen, eines der wichtigsten Forschungsobjekte der regenerativen Medizin.

„Da das beim Menschen nicht klappt und wir wohl noch lange brauchen werden, um die Funktionsweise voll zu verstehen, müssen wir uns vorerst mit kleineren Schritten begnügen“, sagt die Wissenschaftlerin, die vor sieben Jahren mit ihrer Idee den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt hat. Gemeinsam mit Ehemann Sören Liebig gründete sie 2005 die Firma „UroTec“. Zwei Jahre später war die Ausgründung aus der TU Dresden Preisträger beim Businessplan-Wettbewerb „FutureSax“.

278.000 Euro teures Labor am Tatzberg in Betrieb genommen

2008 und 2009 investierten der Bonner Hightech-Gründerfonds und der Technologiegründerfonds Sachsen je 500.000 Euro in das Unternehmen. 2010 stieg das Pharmaunternehmen Apogepha als Mehrheitsgesellschafter und strategischer Partner ein und übernahm die Anteile der Investoren. Auch der Freistaat Sachsen förderte Projekte der jungen Firma, der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) unter anderem das neue Labor, das 278.000 Euro gekostet hat.

as Team der Dresdner Biotechnologie-Firma UroTiss um die Geschäftsführer und Firmengründer Gouya Ram-Liebig und Sören Liebig.

Das Team der Dresdner Biotechnologie-Firma UroTiss um die Geschäftsführer und Firmengründer Gouya Ram-Liebig und Sören Liebig.

Seit 2005 hat die Firma, die seit Ende 2011 „UroTiss“ heißt, 3,5 Millionen Euro investiert. Um Geld verdienen zu können, braucht das Unternehmen mit derzeit sieben Mitarbeitern noch die Krankenkassenzulassung für die Therapie unter Verwendung von „MukoCell“. Die kommt vielleicht schon dieses Jahr, hoffen die Firmengründer, die auch die Zulassung für die EU beantragt haben und ihre Operationsmethode Ende Februar auf dem Europäischen Urologenkongress in Paris vorstellen werden.

Dresdner wollen auch auf den US-Markt – Zulassung kann aber Jahre dauern

Auch den US-Markt hat Sören Liebig schon fest im Blick. Allerdings ist dabei Geduld gefragt, denn die Zulassungsverfahren für medizinische Produkte ziehen sich nicht selten über Jahre hin. Patente und Patentanmeldungen haben die Dresdner für Deutschland, die EU, die USA, Kanada, Japan und Australien.

Professor Richard H. W. Funk, Direktor des Instituts für Anatomie an der TU Dresden, lobte den Mut von Gouya Ram-Liebig zur Ausgründung aus der Universität, die, wie er sagte, nicht ohne Risiko gewesen sei. Funk wünscht sich mehr Wissenschaftler, die nicht „bei der Grundlagenforschung verharren, sondern den Schritt zur praktischen Anwendung gehen“.

Für Bertram Dressel, Chef des Technologiezentrums Dresden, ist das neue Labor „ein Meilenstein“. Mit der Ansiedlung der zweiten Generation von Mietern werde sich der Charakter des Bioinnovationszentrums komplett ändern, sagt er, von der reinen Forschung hin zur Anwendung. Er hat schon einige weitere Start-ups im Blick, die er gern an den Tatzberg holen würde.

Neue Reinräume im BioInnovationszentrum im Blick

Noch werden die in Dresden entwickelten Zellimplantate von „BioTissue Technologies“ in Freiburg hergestellt. Doch perspektivisch will UroTiss in der sächsischen Landeshauptstadt auch produzieren. „Am liebsten natürlich auch hier im Bioinnovationszentrum“, sagt Sören Liebig.

Bis es soweit ist, hat Bertram Dressel allerdings noch allerhand zu tun. Er möchte die Fertigung der innovativen Implantate unbedingt am Tatzberg ansiedeln, aber derzeit gibt es dort noch nicht einmal einen geeigneten Reinraum. Um die Einrichtung eines solchen wirtschaftlich zu gestalten, denkt er darüber nach, Reinraumkapazität an mehrere Firmen zu vermieten. Holger Grigutsch

 

 

-> Was ist „Tissue Engineering“?

 

Unter Tissue Engineering (deutsch: Gewebe-Technik) versteht man die Nachzüchtung natürlicher Gewebe unter Laborbedingungen. Mit diesem gezüchteten Gewebe können in der Medizin Heilungsprozesse unterstützt, nicht mehr funktionsfähige Gewebe regeneriert oder zerstörtes Gewebe ersetzt werden.

Heutzutage kommen Verfahren des Tissue Engineerings bei der Transplantation von Haut, Knorpel und Knochen, Gefäßen und Herzklappen sowie Organen und Organteilen zum Einsatz.

In Zukunft sollen auch komplexere Gewebe oder sogar Organe aus Zellkulturen gezüchtet werden. Ein Motiv für diese Forschung ist der gestiegene Bedarf an Geweben und Organen, welcher durch Organspenden nicht gedeckt werden kann.
Für autologe (patienteneigene) Zelltransplantate werden einem Patienten Zellen entnommen, aus denen dann Gewebe mit körpereigenen Merkmalen gezüchtet wird, das nach der Transplantation vom Immunsystem nicht abgestoßen wird und deshalb besser anwächst als andere Transplantate.

Die technische Herausforderung beim Tissue Engineering besteht einerseits darin, ein Gerüst zu entwickeln, an dem sich die Zellen orientieren und mehrschichtige Strukturen bilden können. Desweiteren müssen Bedingungen verstanden und nachgebildet werden, unter denen die Zellen wachsen, sich vermehren und in die verschiedenen Gewebetypen differenzieren. Um das zu erreichen, müssen mehrere Fachgebiete eng zusammenarbeiten: Materialforschung (für geeignete Trägermaterialien), Zellbiologie sowie Zellkulturtechnik. hgr

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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