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Wiederentdeckte Ur-Fassung auf DVD: Neuer Blick auf Metropolis

Der Maschinenmensch - die zentrale Ikone von Metropolis. Abb. (alle): Murnau-Stiftung

Der Maschinenmensch - die zentrale Ikone von Metropolis. Abb. (alle): Murnau-Stiftung

Darauf haben Filmfreunde schon lange gewartet: Die Murnau-Stiftung und Warner haben die kürzlich wiederentdeckte Urfassung von „Metropolis“ restauriert und nun auf DVD veröffentlicht. Die knapp zweieinhalbstündige Neuedition spiegelt den Fritz-Lang-Klassiker nahezu in der Version wieder, die 1927 Premiere hatte, bevor der Film von Paramount und der Ufa auf einen anderthalbstündigen Torso verstümmelt wurde. Die Rekonstruktion zeigt, dass „Metropolis“ ursprünglich mehr war als ein bloßer Science-Fiction-Film nach Golem- und Frankenstein-Muster war, sondern komplexer, thematisch breiter, imposanter aber auch – zumindest im ersten Drittel – kitschiger angelegt war als jene Versionen, die jahrzehntelang in den Kinos und im Fernsehen zu sehen waren. Die jetzt eingesetzten fehlenden Teile waren 2008 in Argentinien wiedergefunden worden.

Langfassung zeigt andere, komplexere Geschichte

Was Fritz Lang und seine Drehbuchautorin und damalige Gattin Thea von Harbou ursprünglich erzählen wollten, war eine Geschichte über Freundschaft, Treue, soziale Fehlentwicklungen und technologischen Größenwahn: In der gigantomanischen Zukunftsstadt Metropolis diktieren die Maschinen den Rhythmus der Massen. Deren Leben spielt sich größtenteils in der stählernen Unterstadt ab, während eine kleine Oberschicht unter dem Industriebaron Joh Fredersen die Früchte dieser Arbeit erntet, in paradiesischen Gärten und Casinos lustwandelt. Fredersens Sohn Freder hingegen zieht es in die Katakomben tief unter der Stadt, wo das geknechtete Proletariat den Erweckungspredigten des Mädchens Maria lauscht, die Fredersen kurz darauf zum ihrem Geliebten und zum Erlöser der Arbeiter erwählt.

Derweil besucht der alte Fredersen den jüdischen Erfinder Rotwang, der sich daran gemacht hat, seine Frau Hel, die er einst an den Herrscher von Metropolis verlor, als Maschinenfrau wiederauferstehen zu lassen. Fredersen befiehlt Rotwang, der Roboterin die Gestalt Marias zu geben, um den Glauben der Arbeiterschaft in ihre Predigerin zu erschüttern. Der faustische Erfinder folgt diesem Befehl, treibt jedoch in seinem Hass auf den Nebenbuhler ein doppeltes Spiel: Die falsche Maria hetzt die Oberschicht aufeinander los und ruft die Proletarier dazu auf, die Maschinen zu vernichten, die sie knechten. Dies freilich hat katastrophale Folgen…

5 Millionen Reichsmark Produktionskosten, 75.000 Mark eingespielt: Film war für Ufa wirtschaftlich ein Desaster

Der Takt der Molochmaschine diktiert das Leben der Arbeiter.

Der Takt der Molochmaschine diktiert das Leben der Arbeiter.

An den Kinokassen fiel diese Version gnadenlos durch – und in einigen Punkten auch zurecht, muss man sagen: Lang und von Harbou überfrachteten den Film mit religiösen Parabeln und viel Kitsch. Und auch an die versöhnlich-sozialromantische Grundaussage – Mittler zwischen Gehirn (Kapitalisten und Ingenieuren) und Händen (Arbeitern) muss das Herz sein -, wollte im Deutschland der Nachkriegszeit zwischen Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise wohl niemand so recht glauben. Bei Produktionskosten irgendwo zwischen 3,5 und fünf Millionen Reichsmark (die Angaben variieren) spielte der Monumentalfilm 1927 nur 75.000 Reichsmark an den Kinokassen ein. Für die Ufa ein Desaster, das sie nahe an den Bankrott brachte.

Daraufhin schnitt Paramount „Metropolis“ für den US-Markt drastisch zusammen: Die Story wurde auf das Frankenstein-Motiv und einen Katastrophenfilm reduziert. Statt aus der Rivalität zwischen Fredersen und Rotwang entstand die Roboterin nun aus einem Befehl des Herrschers, einen Ersatz für die unzuverlässigen Arbeiter zu konstruieren. Die Katastrophe kommt, weil der Maschinenmensch durchdreht. Auch ganze Nebenstränge und viele Figuren wurden fast ganz herausgeschnippelt. Die Ufa folgte noch 1927 diesem US-Zuschnitt, die wegfallenden Szenen wurden vernichtet.

Immenser Einfluss auf spätere Filme und Popkultur

Jahre später wurde das einstige Kassengift zum Kultfilm, man erkannte die historische Bedeutung des Lang-Films, dessen Motive in den folgenden Jahrzehnten immer wieder adaptiert und kopiert wurden. „Metropolis“ beeinflusste japanische Mangas und Videoclips von Madonna, Ridley Scotts „Blade Runner“ und Luc Bessons „Das fünfte Element“ – die Liste ließe sich weit fortsetzen.

Nachdem der Mob die Pumpen lahmgelegt hat, versuchen Freder und Maria, die ertrinkenden Kinder zu retten.

Nachdem der Mob die Pumpen lahmgelegt hat, versuchen Freder und Maria, die ertrinkenden Kinder zu retten.

Die Urfassung jedoch galt als unwiederbringlich verloren, bis ein Filmfreund 2008 in einem Museum in Buenos Aires eine fast vollständige (verschollen bleiben acht Minuten), wenn auch stark lädierte 16-Millimeter-Kopie mit den fehlenden Szenen entdeckte. Die deutsche Murnau-Stiftung ließ diese fehlenden Teile digital aufarbeiten, soweit das ging: Als die Argentinier (wohl in den 1970ern) die Kopie erstellten, übernahmen sie alle Kratzer, Ölflecken und sonstigen Vorführschäden der Originalrollen.

Die Restauratoren haben das Bild zumindest beruhigen, glätten und um viele Fehler reduzieren können – aber auch danach erkennt man die neuen-alten Fragmente am streifigen Bild, das sich deutlich von den Abschnitten unterscheidet, die bereits 2001 exzellent von einem 32-mm-Original restauriert worden waren. All diese Teile hat die Stiftung nun zusammengefügt, mit der Originalpartitur (die nun wieder passt) musikalisch neu vertont und jetzt veröffentlicht.

Die neue Spezialedition enthält neben der 144-minütigen Langfassung zwei weitere DVDs mit Bonusmaterial. Darin werden die Wiederentdeckung der fehlenden Fragmente, die Rekonstruktion, die musikalische Überarbeitung, die ursprüngliche Produktionsgeschichte von „Metropolis“ und dergleichen mehr beleuchtet.

Fazit:

Die falsche Maria als Hure von Babylon.

Die falsche Maria als Hure von Babylon.

Erst mit dieser wohl finalen Fassung wird „Metropolis“ wirklich schlüssig und ganz verständlich. Sie zeigt einerseits die anfänglichen Schwächen des Films, der im ersten Drittel noch im übertriebenen Gestus der Stummfilmzeit feststeckt, im weiteren Verlauf aber optisch, schauspielerisch und musikalisch Maßstäbe setzte

Manches wirkt da sogar noch spektakulärer als in der Torsofassung, die Massenszenen mit den beinahe ertrinkenden Kindern zum Beispiel oder der ekstatische Verführungstanz der falschen Maria (Brigitte Helm) – dass selbst an solchen Szenen herumgeschnippelt wurde, ist kaum nachvollziehbar. Kurz: ein Sammlerstück für jeden Cineasten.

Heiko Weckbrodt

„Metropolis (2011)“ (Murnau-Stiftung/Warner), R.: Fritz Lang, D 1927 (Rekonstruktion: 2010/11), restaurierte Langfassung, 144 Minuten, P 6
Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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