Wirtschaft
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Dresden macht bis zu 180 Millionen Euro Nebenumsatz durch „Chip-Touristen“

Globalfoundries-Mitarbeiter installieren neue Anlagen im Dresdner Werk. Abb.: GF

Wenn wir hier bei Globalfoundries Dresden eine Chipfabrik erweitert wird, zieht das Kaskadeneffekte für die gesamte Wirtschaft nach sich Abb.: GF

Besucher der Hightech-Industrie spülen viel Geld in Dresdner Hotels, Bars und Taxis

Johannes Lohmeyer. Abb.: FDP DD

Johannes Lohmeyer. Abb.: FDP DD

Dresden, 14.10.2011: Neben den direkten Effekten für den Arbeitsmarkt und das Steueraufkommen in Dresden sichert die hiesige Hightech-Industrie auch indirekt Jobs und Einkommen in der Stadt – und das in erheblichem Umfang: Auf 150 bis 180 Millionen Euro pro Jahr schätzt der Hoteldirektor und FDP-Kreisvorsitzende Johannes Lohmeyer den Umsatz, den Dresdner Hotels, Pensionen, Restaurants und Taxifahrer mit Gästen realisieren, die die hiesige Halbleiterfirmen oder Mikroelektronik-Messen wie jüngst die „Semicon Europe“ aus dienstlichen Gründen besuchen. Davon entfalle etwa ein Drittel auf Übernachtungsausgaben, den großen Rest lassen die „Chip-Touristen“ in Bars, Taxis, Geschäften und Gaststätten.

„Wir haben Effekte wie die Mikroelektronik selbst beobachtet“, berichtet Lohmeyer, der unter anderem die Macrander-Hotels „Best Western“ in der Neustadt und das „Holiday Inn“ an der Stauffenbergallee leitet. „An dem Tag, als Qimonda dicht machte, ging das Geschäft bei uns im Sinkflug runter. Dann hat sich das langsam gefangen und heute haben wir eine bessere Auslastung als vor der Qimonda-Pleite.“ Ähnlich erging es der Chipindustrie in der Stadt: Mit der Qimonda-Insolvenz Anfang 2009 gingen auf einen Schlag rund 3000 Jobs flöten. Inzwischen aber beschäftigen die elektroniknahen Hightech-Betriebe in Dresden elf Prozent mehr Menschen und erwirtschaften 48 Prozent mehr Jahresumsatz als im Jahr 2006 (Der Oiger berichtete).

Pro intallierte Chip-Fertigungsanlage Dutzende Dienstreisende

Vor allem die Hotels und Kneipen im Dresdner Norden profitieren von diesem Aufwärtstrend, meint Lohmeyer: „Stadtweit haben die Hotels Auslastungsraten um die 50 Prozent. Bei uns liegen sie zwischen 81 und 86 Prozent.“ Ähnlich sei es beim „Quality Plaza“ und im Flughafen-Hotel. „Denken Sie an die Milliardeninvestitionen, die Globalfoundries und Infineon im Moment tätigen“, erklärt er. „Die Anlagen dafür kommen aus aller Welt. Wenn so eine Maschine angeliefert wird, kommen oft 30 bis 40 Mitarbeiter vom Hersteller für mehrere Monate mit nach Dresden.“

Tourismusstudie soll nun Effekte genauer beziffern

Bettina Bunge. Abb.: DMG

Bettina Bunge. Abb.: DMG

Auch die Dresden Marketing GmbH (DMG) sieht diese belebenden Kaskadeneffekte durch die Halbleiterunternehmen. „Die Chipindustrie gehört in Dresden und Sachsen insgesamt zu den bedeutendsten Wirtschaftszweigen. Diese Branche bringt einen großen internationalen Austausch mit sich“, betonte DMG-Chefin Bettina Bunge. „Kunden aus aller Welt besuchen die Dresdner Unternehmen, und der Austausch zwischen Mutter- und Tochterfirmen an anderen Standorten sorgt ebenfalls für einen regen Geschäftsreiseverkehr, vom dem Dresdens Hotelerie und Gastronomie, der Einzelhandel, aber auch die kulturellen Einrichtungen profitieren.“ Die DMG hat eine Studie „Wirtschaftsfaktor Tourismus“ in Auftrag gegeben, die bis zum Jahresende genaue Zahlen liefern soll.

Dienstreisende sind lukrativer als Bustouristen

Gerade die internationalen Geschäftsreisenden sind für die Tourismusbranche lukrativ: Sie bezahlen im Schnitt höhere Hotelpreise als Pauschaltouristen und geben für jeden Euro Übernachtungskosten noch zwei weitere in der Stadt aus, sorgen also für Umsätze im Handel und in der Gastronomie.
Bisher hat sich Dresden allerdings eher als Kulturziel für Privatreisende etabliert. „Während wir in Dresden ein Verhältnis von 65 Prozent touristischem Reiseverkehr haben und 35 Prozent Geschäftsreiseverkehr, ist das Verhältnis bei Städten wie München, Berlin und Frankfurt a. M. eher umgekehrt, also 50 bis 70 Prozent Geschäftsreiseverkehr“, so DMG-Chefin Bunge.

Da teilt Dresden ein Problem vieler ostdeutscher Städte, da es an Firmenzentralen mangelt, die Besuchsverkehr von den Tochtergesellschaften anziehen. Das Tagungs- und Kongressgeschäft entwickelt sich schon besser: Mittlerweile haben sich in Dresden Großveranstaltungen wie die Physiker-Frühjahrstagung oder die „Semicon“ etabliert, die teils bis zu 10.000 Besucher nach Dresden lotsen. Aber auch hier hat die Stadt Rückschläge erlebt, die mit der eher schlechten internationalen Verkehrsanbindung der Stadt zu tun haben: Die Supercomputerkonferenz „ISC“ zum Beispiel kehrte Dresden 2008 den Rücken, die „Printed Electronics Europe“ im vergangenen Jahr – vor allem, weil es an internationalen Direktflügen aus Kalifornien und Fernost nach Dresden mangelt. Die Besucher hatten einfach keine Lust mehr, x-Mal umzusteigen.

„Chip-Touristen“ haben klare Wünsche: schnelles WLAN, englische Speisekarte und geföffnete Bars bis in die Nacht

Doch auch an den weichen Faktoren müssen Dresden und die Dresdner noch arbeiten. „Viele unserer internationalen Übernachtungsgäste reagieren etwas pikiert, weil es immer noch in vielen Restaurants keine englischen Speisekarten gibt und viele Taxifahrer, Kellner und Verkäufer allenfalls gebrochen Englisch sprechen“, sagt Lohmeyer. „Da mag man zwar einwenden, dass man in Amerika auch keine deutschen Speisekarten erwartet, aber so läuft das nun mal.“

Auch an gewisse Serviceansprüche des Informationszeitalters mit seinen flexiblen Arbeitszeiten müssen sich viele Wirte erst noch gewöhnen – und dies gilt keinesfalls nur für Dresden, sondern für den gesamten Regulierungsstaat Deutschland: Während zum Beispiel im Nachbarland Frankreich kostenlose WLAN-Verbindungen für Hotel- und Restaurantgäste inzwischen schon zum Standard gehören, tun sich deutsche Dienstleister da oft noch schwer – ganz zu schweigen von den Ladenöffnungszeiten, die bei amerikanischen Besuchern eher Kopfschütteln ernten. „Ein hochqualifizierter Techniker oder Ingenieur, der den ganzen Tag oben bei Globalfoundries zugebracht hat, um eine Maschine einzurichten, der kommt oft erst spätabends ins Hotel zurück – und dann will er schnelles WLAN und eine Bar, die noch geöffnet hat“, sagt Lohmeyer. „Da haben auch wir uns darauf einstellen müssen.“ Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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