Dresden, 7.9.2011. Der im „Zentrum Mikroelektronik Dresden“ (ZMD) entwickelte Megabit-Chip, der 1988 mit großem propagandistischen Aufwand SED-Chef Erich Honecker präsentiert wurde, war von einer Massenproduktion in der DDR weit entfernt. Das erklärte der frühere ZMD-Chef Dieter Landgraf-Dietz heute vor über 200 Vertretern aus Industrie und Forschung beim Festkolloquium „50 Jahre Mikroelektronik“, das „Silicon Saxony“ in der TU Dresden ausgerichtet hatte – der Branchenverband würdigte damit den 50. Jahrestag der Gründung der „Arbeitsstelle für Molekularelektronik“ (AME) Dresden durch Werner Hartmann am 1. August 1961.
„In den 80er Jahren ist rund eine Milliarde DDR-Mark in das ZMD-Industrieforschunsgzentrum an der Grenzstraße investiert worden“, berichtete Dieter Landgraf-Dietz, der in den 80er Jahren die Verfahrensentwicklung im ZMD leitete und 1990 bis 1994 Geschäftsführer des Unternehmens war, über die Hintergründe des 1-Megabit-Projekts. Außerdem hatten das ZMD beziehungsweise ZFTM (so hieß ZMD vor der Abspaltung des VEB Elektromat) etwa 300 Millionen Mark Entwicklungsgelder pro Jahr zur Verfügung. „Aber nur etwa die Hälfte der Ausrüstungen für die Halbleiter-Pilotproduktion konnte von der DDR-Industrie bereitgestellt werden.“ Ein kleinerer Teil kam aus sowjetischer Produktion. Aber der große Rest wurde unter Umgehung des US-Embargos CoCom von Stasi und Alexander Schalck-Golodkowskis Firmennetzwerk „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo) für teure Devisen aus dem Westen besorgt.
Aus einer Information der Stasi-Hauptabteilung XVIII/8 über die Zusammenarbeit von SU und DDR bei Chiptechnologien vom Mai 1988: „Die Sowjetunion entwickelt 1-Megabit-Schaltkreise in Selenograd und Minsk, diese Muster sind aber nicht voll funktionsfähig. Die SU setzt neben eigenen und DDR-Ausrüstungen auch NSW-Technik* ein. Bei Beratungen am 22.4.88 schlug die DDR-Seite gemeinsame Spezialistengruppen vor, um die Probleme an den Technologischen Spezialausrüstungen vor Ort lösen. Die sowjetische Seite lehnte dies ab und bestand darauf, ausschließlich sowjetische Spezialisten an die Ausrüstungen zu lassen. Damit sind die Grenzen der Zusammenarbeit erreicht.“
Auf der ZMD-Pilotlinie konnten 1988 rund 5000 Muster des Megabit-Schalkreises gefertigt werden, 1989 weitere 30.000. Danach sollte eigentlich die Massenproduktion in Millionen-Stückzahlen in den neuen Erfurter Fabriken des Kombinats Mikroelektronik folgen. „Aber was wir für unsere Pilotproduktion an West-Anlagen noch beschaffen konnten, wäre im größeren Maßstab in Erfurt weder finanzierbar gewesen, noch hätte es in dieser Menge an den Embargo-Kontrolleuren vorbei besorgt werden können“, so Landgraf-Dietz. „Die geplante Massenfertigung war gar nicht machbar.“
Für Fabrikmaßstab fehlten Devisen und sichere Beschaffungswege an Embargo-Wächtern vorbei
Ursprünglich war das von der SED-Führung auch ganz anders geplant gewesen: Gemäß einem Regierungsabkommen von 1976 zwischen der DDR und der Sowjetunion und diversen Fortschreibungen sollte je etwa die Hälfte der „Technologischen Spezialausrüstungen“ (TSA), die für die Chipproduktion benötigt werden (Lithografie-Anlagen, Implanter, Ätzer etc.), von den beiden Partnerländern bereit gestellt werden. tatsächlich jedoch funktionierte die Zusammenarbeit im „Rat für gegenseitige Wirtschaftschilfe“ (RGW) vorn und hinten nicht: Die Russen lieferten weder im gewünschtem Umfang, teilweise überhaupt nicht und die doch bereitgestellten Anlagen hatten oft erhebliche Mängel.
So kam es dazu, dass immer mehr TSA aus dem Westen beschafft werden mussten und die eigentlich nur für Forschungszwecke gedachten Pilotlinien im ZMD auf Masse gefahren wurden. In einer Einschätzung vom April 1987 aus den Unterlagen der Stasi-Hauptabteilung XVII heißt es bezeichnenderweise über die Probleme, den Megabit-Speicher ab 1990 in die Massenproduktion nach Erfurt zu überführen: Dafür seien im Erfurter Werk ESO IV rund 820 Millionen Mark Investitionen notwendig, die „DDR muss 60-70% der Investitionen als NSW-Importe* einplanen“.
Allerdings seien all die Mikroelektronik-Forschungen in Dresden keineswegs widersinnig oder umsonst gewesen, betont heute Landgraf Dietz, der nach seiner Zeit als ZMD-Chef jahrelang für ein Investoren-Ansiedlungsgremium in Berlin tätig war: „Unser Pfund war das Humankapital des ZMD, das war unser Gold, das die heutigen Chipwerk-Ansiedlungen in Dresden ermöglichte.“
Heiko Weckbrodt
* Anmerkung: NSW = Nichtsozialistisches WirtschaftsgebietZurück zum Special „50 Jahre Mikroelektronik in Dresden“
Ihre Unterstützung für Oiger.de!
Ohne hinreichende Finanzierung ist unabhängiger Journalismus nach professionellen Maßstäben nicht dauerhaft möglich. Bitte unterstützen Sie daher unsere Arbeit! Wenn Sie helfen wollen, Oiger.de aufrecht zu erhalten, senden Sie Ihren Beitrag mit dem Betreff „freiwilliges Honorar“ via Paypal an:
Vielen Dank!
Pingback: In der DDR habe es auch schon ein I-Phone! - DIGITAL FERNSEHEN - Forum