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Karthago: In 118 Jahren von einer Großmacht zur Trümmerwüste

Hier leisteten die römischen Zerstörer ganze Arbeit: Die Ruinen von Karthago nahe des heutigen Tunis. Abb.: Mschlindwein/Wikipedia

Hier leisteten die römischen Zerstörer ganze Arbeit: Die Ruinen von Karthago nahe des heutigen Tunis. Abb.: Mschlindwein/Wikipedia

Griechen kritisierten Wendung Roms zur „Despotie“

Als der römischen Feldherr Scipio Aemilianus im Jahre 146 v. u. Z. Karthago bis zur Unbewohnbarkeit zerstörte, verstörte dies schon die Zeitgenossen. Die bereits unterworfenen Griechen sprachen damals von einer Wendung Roms hin zur „Herrschsucht“ und „Despotie“. Doch das Wüten der Legionäre war nur der Endpunkt einer geopolitischen Entwicklung, die die Machtverhältnisse im Mittelmeerraum grundlegend verändert hatte: Zwischen dem ersten und dem dritten „Punisch-Römischen Krieg“ lagen gerade einmal 118 Jahre, innerhalb derer aus der Großmacht Karthago ein Trümmerfeld und Rom zur antiken Supermacht wurde, auch läutete diese Zeit  das Ende der Republik ein.

Hansen: Römische „Angst“ führte zur Zerstörung Karthagos

Zensor Marcus Porcius Cato, der Ältere: "Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss." Abb.: Wikipedia

Zensor Marcus Porcius Cato, der Ältere: "Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss." Abb.: Wikipedia

Warum aber begnügte sich der Senat nicht damit, die nordafrikanische Seehandelsmacht Karthago, die vom heutigen Tunis aus das östliche Mittelmeer dominierte, zu besiegen, sondern „musste“ Karthago bis auf die Grundmauern niederbrennen und all seine Einwohner versklaven? Diese Frage ist in der Geschichtsforschung schon oft diskutiert worden, der Hamburger Historiker Olde Hansen hat sie nun in seinem Buch „Der dritte Römisch-Karthagische Krieg“ unter Berücksichtigung neuerer archäologischer Erkenntnisse neu diskutiert. Sein Fazit: Obwohl Rom Hannibal unter großen Verlusten besiegt hatte, war Karthago binnen eines halben Jahrhunderts zu derart neuem Wohlstand aufgeblüht, dass im Senat die Angst vor den „Puniern“ wuchs und Kriegstreiber wie der Zensor Cato die Oberhand über gemäßigte Kräfte gewannen, die dafür plädierten, Rom möge sich auf seine innenpolitischen Probleme konzentrieren. Legendär ist Catos Satz, den er laut Plutarch nach jeder Senatsrede anfügte, egal, zu welchem Thema er zuvor gesprochen hatte: “…Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss.“

Um die Feindschaft, in die sich die Senatoren hineinsteigerten, richtig zu verstehen, muss man in das Jahr 264 v. u. Z. zurückgehen: Rom hatte damals die Nachbarstämme und die Griechenstädte des italischen Festlandes gerade erst besiegt und beherrschte diese indirekt durch verzweigte Vertragswerke. Damals gerieten römische und karthagische Bündnispartner in Sizilien aneinander, was beide Großmächte auf den Plan rief. Im ersten „Punischen Krieg“ wurde Rom zur Seemacht. Auch führte er dazu, dass Rom seine erste Provinz einrichtete – und es war auch die große Macht späterer Statthalter, die in den folgenden Jahren nach und nach die republikanische Verfassung Roms zermürbte.

Ewiges Trauma Hannibal

23 Jahre nach dem römischen Sieg marschierte Karthago in Italien ein, seitdem verfolgte das Trauma „Hannibal ante Portas“ (Hannibal steht vor den Stadttoren) die Römer – obwohl dieser Krieg mit einem Knebelfrieden für Karthago endete, der den Puniern verbot, Söldner oder eine Kriegsflotte zu unterhalten. Nach Meinung späterer Historiker lag Karthago danach am Boden – berederweise kapitulierten die Punier sofort, als sie vom neuerlichen Kriegsbeschluss des Senats im Rom erfuhren.

Inzwischen haben archäologische Ausgrabungen nahe des heutigen Tunis aber gezeigt, dass die Stadt in dem halben Jahrhundert zwischen dem Hannibal-Frieden und der Zerstörung enorm aufblühte, seinen Hafen stark erweiterte und dank der weggefallenen Söldnerkosten enorme Reichtümer anhäufte – genug wohl, um ein großes Heer anzuheuern.

Autor zieht Parallelen zur US-Politik

Hansen kommt insofern zu dem Schluss, dass ein Gemisch aus Angst und Minderwertigkeitsgefühlen der Senatoren zum Kriegsbeschluss führte – immerhin häufte der besiegte Feind Schätze an, während Rom noch am Blutzoll des Hannibal-Krieges nagte, in dem 100 000 Mann gefallen waren, die Hälfte davon Vollbürger. Enthemmter „Zerstörungswille“ und Aggression aus Angstkomplexen heraus habe sich seine Bahn gebrochen, meint der Autor – kommt dabei freilich auf gewagte und nicht gerade fundiert belegte Vergleiche, indem er den „Vernichtungskrieg“ Roms in die Nähe des Holocausts rückt oder in einem Atemzug mit dem US-Einmarsch in den Irak nennt.

Abschied vom Konzept des „gerechten Krieges“

Hansens Meinung über die langfristigen Folgen dieses Zerstörungswerkes kann man hingegen teilen: Rom entschied sich an diesem Wendepunkt endgültig für eine Gesellschaft mit Krieg als Dauerzustand, schwenkte vom „defensiven Imperialismus“ zum Eroberungsstaat, verabschiedete sich vom Konzept des „gerechten Kriegs“ – in der Folge wurden „gerechte“ Kriegsgründe nur noch künstlich produziert. Vor allem aber versäumte es der Senat, neue politische Strukturen für einen Stadtstaat zu entwickeln, der längst zum Flächenreich geworden war – der Anfang vom Ende der Republik. Heiko Weckbrodt

 

Olde Hansen: Der Dritte Römisch-Karthagische Krieg, vdm-Verlag, 49 Euro, ISBN 978-3836481250
Leseprobe hier
Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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