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„Copyright existiert nicht“

 Hacker betont in seinem Buch das Recht auf freie Information
Einer der ersten MIT-Hacker, Steve Russell, setzt sich noch einmal an eine PDP 1. Abb.: Joi Ito/Wikipedia
Einer der ersten MIT-Hacker, Steve Russell, setzt sich noch einmal an eine PDP 1. Abb.: Joi Ito/Wikipedia

Lunus Walleij. Abb.: CSW

Lunus Walleij. Abb.: CSW

Über diese Schützenhilfe werden sich die Hekatomben von Netzgängern wohl freuen, die sich Filme, Musik und Bücher schwarz aus dem Internet laden, statt dafür zu bezahlen: „Copyright existiert nicht“, ist der schwedische Hacker Linus Walleij überzeugt. Er begründet diese Meinung auf 323 Seiten in seinem gleichnamigen Buch, das er 1998 geschrieben hat, aber erst jetzt in Deutschland erschienen ist. Kernthesen: Die Information ist frei, dies ist ein elementares Menschenrecht, das bis zur Erfindung des Buchdrucks auch galt und im Übrigen ist jede Form von Privateigentum ohnehin Diebstahl.

Diese Überzeugungen sind streitbar und Walleij ist auch mehr mit Behauptungen statt einer schlüssigen Beweisführung beschäftigt. Aber sein Buch gibt einen interessanten Einblick in die Hackerszene, in ihr Selbstverständnis und ihre Entwicklung von den 1950er bis in die 90er Jahren. Der Schwede beschreibt die Hacker als Idealisten mit einem anspruchsvollen ethischen Kanon, die „dem System“ und den kapitalistischen Großkonzernen schaden, nicht aber Sven-Normalverbraucher – schwarze Schafe mal ausgenommen.

 Nun mag es daran liegen, dass Walleijs Opus bereits über 10 Jahre alt ist und er keine Gelegenheit fand, neuere Entwicklungen einzuarbeiten – wer schon mal durch Internetkriminelle abgezockt wurde und mehrere Nächte damit verbracht hat, seinen PC wieder virenfrei zu machen, wird wohl etwas anders über Hacker denken als der Schwede.

Die ursprünglichen Hacker und ihr Ethos

Womit Walleij recht hat, ist die Beschreibung des ursprünglichen Hackers, der aus Ehrgeiz, Wettbewerbsgedanken und vor allem technischem Interesse – und mit durchaus ehrbaren Motiven – in die Großrechner des Militärs, der Unis oder großer Telefongesellschaften eindrang, Schwachstellen schlampig programmierter Software aufzeigte, brisante Akten veröffentlichte – aber nichts „kaputt machte“. Vorbild waren vor allem die Studenten des MIT in den 50er und 60er Jahren, die sich ursprünglich in einem Modellbahnclub zusammenschlossen, der sich später mit den damals nagelneuen Großrechnern beschäftigte. Solche Hacker gibt es bis heute und man kann die Enthüllungsplattform „Wikileaks“ wohl auch als moderne Fortsetzung dieses Kodex‘ sehen.

Der Modellbahnclub des MIT gilt als Wiege der Hacker-Kultur. Noch heute nennen die Studis dort Streiche wie diese Telefonzelle auf dem Kuppeldach "Hacks". Abb.: E. Schmiedl/MIT

Wenn Walleij den Hacker aber butterweich (leider sind viele seiner Definitionen so vage) als Person definiert, „der den Computer um seinetwillen nutzt“, dann fallen eben auch die modernen „Script Kiddies“ darunter, die sich von den Hackerseiten Schadprogramme ziehen und massenhaft verbreiten, die „Phisher“, die immer mehr technische Rafinessen entwickeln, um Bankkunden abzuzocken… Da noch von Ethik zu sprechen, ist problematisch.

 

Streitbare Thesen

Auch seine Kernthesen sind angreifbar: Dass Information frei sein sollte und dies sogar als ein elementares Recht festgeschrieben gehört, würden wohl viele unterschreiben. Ob indes auch die Formung der Information, insbesondere die künstlerische, nicht nur frei, sondern auch kostenlos sein sollte, darüber gehen die Meinungen auseinander (mal ganz abgesehen von der Gesetzeslage). Denn dies läuft auf eine Enteignung all jener hinaus, der vom Produkt ihres geistigen Schaffens leben müssen – und nicht etwa „nur“ der hochdotierten Hollywood-Stars und reichen Filmkonzerne.

Auch Walleijs Behauptung, vor der Erfindung des Buchdrucks sei die Information frei gewesen, ist historisch nicht ganz richtig: Bis ins Spätmittelalter war Wissen das sorgsam gehütete Privileg weniger, die Lesen und Schreiben, die sich die damals exorbitant teuren Bücher leisten konnten. Heiko Weckbrodt

Linus Walleij: „Copyright existiert nicht“, CSW-Verlag, Winnenden 2011, 17 Euro, ISBN 978-3941287013

-> Wer Schwedisch kann: Der Autor hat sein Buch konsequenterweise gratis ins Netz gestellt

 Der Film „WarGames“ (1983) hat den Hacker-Nimbus in der Öffentlichkeit mitbestimmt:

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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