Internet & IoT, Wirtschaft
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Deutsche Bibliotheken gehen auf Digitalkurs

 

Die Scan-Roboter der SLUB digitalisieren bis zu 500 Buchseiten pro Stunde. Abb.: SLUB

Buchentleihungen stagnieren, der Gang ins Internet soll’s richten

Berlin/Dresden, 13.7.11: In der deutschen Bibliotheken-Szene ist ein – wenn auch noch langsamer – Wandel hin zur Elektronisierung im Gange: Klassische Bücher machen zwar weiter den übergroßen Teil der Ausleihstatistiken aus, aber diese Zahlen stagnieren oder gehen gar zurück. Dagegen sind die internetgestützen Formate auf dem Vormarsch – seien es nun eBuch-Verleih, Mediendigitalisierung oder die Orientierung der Leihbüchereien hin zum Anbieter von Wissensdatenbanken. Das ist ein Befund des neuen bundesweiten Vergleichstests „Bibliotheken-Index“ (BIX) des Deutschen Bibliotheksverbandes, der Dienstagnacht veröffentlicht wurde.

Monika Ziller. Abb.: DBV

„Deutlich wird in den Daten 2011 der Medienwandel in den Bibliotheken“, erklärte Verbandspräsidentin Monika Ziller. „Die Hälfte der Stadtbibliotheken im BIX bietet ihren Nutzern die Möglichkeit, elektronische Medien wie E-Books, Zeitschriften, Hörbücher oder Musik herunterzuladen. Bundesweit sind es gut 200 Stadtbibliotheken, die dies ermöglichen. Die Hochschulbibliotheken im BIX investieren durchschnittlich 40 % ihres Etats in elektronische Medien, der Anteil kann bei naturwissenschaftlichem Fächerprofil aber auch auf bis zu 80 % steigen.“

SLUB-Vize Bonte: „Kraftvoller Medienwandel“

Über ähnliche Phänomene berichtet die Sächsische Landes- und Universität (SLUB) Dresden: Vize-Direktor Achim Bonte sprach in seinem Blog von einem „kraftvollen Medienwandel“. „Durch die fortschreitende Digitalisierung und den wesentlich verbesserten Zugang zu digitalen Medien hat die SLUB bei den physischen Buchausleihen vermutlich dauerhaft den Scheitelpunkt überschritten. Mit 1,2 Millionen Entleihungen im ersten Halbjahr 2011 ergibt sich ein Minus von fast exakt 5 %.“

Die SLUB hat indes die Zeichen der Zeit erkannt und in den vergangenen Jahren massiv in die Elektronisierung ihrer Medien investiert, auch der historischen Altbestände. Unter anderem hat sie spezielle Leseroboter erworben, die vollautomatisch in Büchern blättern und sie Seite für Seite einscannen können. Jeder Roboter kann bis zu 500 Seiten pro Stunde elektronisieren. Inzwischen gehört die SLUB zu den führenden Digitalisierungszentren in Deutschland.

eBooks tragen zu Digitalboom bei. Abb.: Sony

Dresden beste deutsche Großstadtbibliothek

Auf einem etwas anderen Pfad treiben die Städtischen Bibliotheken Dresden, die im neuen BIX-Test 2011 zur besten deutschen Großstadtbibliothek gekürt wurden, den Elektronisierungstrend voran: Auch sie verzeichnen seit zwei Jahren stagnierende Ausleihzahlen, wenn auch auf sehr hohem Niveau. Sie haben daher im Herbst 2009 mit der „eBibo“ eine Internetfiliale gegründet, in der man inzwischen über 11.000 eBücher, Videos, Kurse und andere Medien online ausleihen kann – das Angebot erfreut sich steigender Beliebtheit.

Ähnlich agieren auch andere kommunale Leihbüchereien in ganz Deutschland, viele davon sind dem „Onleihe“-System angeschlossen, das mittlerweile über 40.000 Medientitel und 72 Bibliotheken beziehungsweise Bibliotheksverbünde umfasst. Selbst als iPhone-App gibt es die „Onleihe“ – und andere Plattformen dürften bald folgen.

Bibliothek als Erlebnisort

Da die Bibliotheken allerdings kaum daran interessiert sind, zu reinen Internet-Dienstleistern degradiert zu werden, schlagen viele Leihbüchereien auch einen zweiten Weg gegen den Besucherschwund ein: Wenn der Trend schon hin zur Ausleihe per Mausklick von daheim geht, dann muss man die Leute eben anders in die mit viel kommunalen Geldern finanzierten Häuser locken. Motto: die Bibliothek als gesellschaftlicher Treffpunkt und Erlebnisort, wo sich die Jugend zu Facebook-Parties oder gemeinsamen Hausaufgaben-Recherchen trifft und die Senioren Volkshochschul-Kurse besuchen – oder so ähnlich. Bekanntermaßen laborieren die ebenfalls unter Besucherschwund leidenden Kinos mit ähnlichen Konzepten, bisher jedoch mit eher mäßigem Erfolg.

Heiko Weckbrodt

Repro: Oiger, Original: Madeleine Arndt

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